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themenläden und andere clubsEin Buch über die Kolonialmetropole BerlinDer Zweck der Mittel

Im oberen Drittel des bunten Schutzumschlags steht in fetten Lettern der Titel: „Kolonialmetropole Berlin“. Etwas tiefer dann, kleiner: „Eine Spurensuche“, und schon sieht man sie vor sich, die Tropenverklärer.

Doch statt einer wehmütigen Spurensuche erwartet den Leser ein solider Überblick über den historischen Hintergrund der Kolonialpolitik. Der Historiker freut sich ob der Wissenschaftlichkeit, die nicht das Lesevergnügen trübt. Auch inhaltlich zeigt sich, dass der Balanceakt zwischen fachlicher Genauigkeit und einer populärwissenschaftlichen Darstellung gelungen ist.

Historiker und Biologen, Mediziner und Filmemacher haben über 50 Beiträge geschrieben, von den ersten Kolonialabenteuern im 17. Jahrhundert bis zur Schilderung von Reichstagsdebatten, dem Einfluss der Überseewirtschaft auf Berlin oder rassenbiologischen Studien in den Kolonien. Kolonialpolitik war Männerpolitik, lautet eine der Thesen des Buchs. Die Kolonialherrschaft war brutal durchgesetzt worden, in den ersten Jahrzehnten siedelten fast nur Männer in den deutschen Kolonien.

Zwar durften Frauen in Deutschland erst ab 1919 an der Regierungs- und Parlamentsarbeit mitwirken, aber schon vorher schlossen sie sich zu lobbyistischen Bünden zusammen, um sich „für die Erhaltung des Deutschtums in den Kolonien“ einzusetzen. Hedwig Heyel, Vorsitzende des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft, formulierte die Ziele: „Frauen für die Kolonisten auszusenden, Siedlungen durch Ehen zu festigen und überhaupt geeignetes Mädchenmaterial zu verschicken“. Solche Erklärungen stehen für die nationalistische Grundstimmung im Kaiserreich und die gesellschaftlichen Zwänge. Die zahlreichen historischen Fotos, Ausschnitte aus Kolonialzeitungen, Werbung von Kolonialwarenläden, Karikaturen und alte Postkarten lassen das plastische Bild einer Gesellschaft entstehen, die Kolonialpolitik als Kulturtat und zivilisatorische Mission begriff, die sich als Befreier, Freund, Erzieher und Helfer in der Not verstand.

Aber nicht nur die Auswirkungen des Kolonialismus auf das kolonisierende Volk, sondern auch die Folgen für die kolonisierten Menschen werden beleuchtet. In Lebensläufen von afrikanischen Migranten in Berlin, der Vorführung von Schwarzen auf Völkerschauen, der rassistisch motivierten Diskriminierung und der inhumanen Behandlung von Afrikanern im eigenen Land. SILKE LODE

Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller: „Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche“. Berlin Edition, 24,80 €

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