themenläden und andere clubs : Die zeitgemäße Form der Langeweile
Wir wollen jetzt nicht allzu euphorisch sein, aber es sieht fast so aus, als sei etwas Bewegung in das recht eingefahrene Berliner Ausgehleben gekommen. Es sind ja oft die kleinen Dinge, die eine Trendwende andeuten, die wieder hoffen lassen. Zum einen gibt es nun völlig neue Serviceangebote, zum Beispiel die – nun – wir wollen sie „Die Frau mit der Nähmaschine“ nennen. Mit einer elektrischen Nähmaschine im Gepäck zieht sie durch die Clubs, setzt sich an strategisch gute Plätze, rattert drauflos und näht jedem, der es wünscht, hübsche Filzapplikationen auf Jacke, Hemd oder T-Shirt. Auch der Grillgarten am Ende der Schlesischen Straße setzt neue Maßstäbe: Hier kann jeder selber grillen, muss aber alles mitbringen.
Einen neuen inhaltlichen Trend jenseits des Dienstleistungssektors haben die Lifestyle-Medien bereits aufgespürt: „Wissensvermittlung mit Beats“, „Wissenschaft goes Party“ heißen die Schlagworte, angeblich zieht die Wissenschaft bzw. Populär- oder Vulgärwissenschaft ins Nachtleben ein. Vorträge, Expertengespräche und Talkrunden sollen dem Ausgehen mehr Substanz verleihen und dem bloßen In-Bars-Herumhocken den Schein des Gehaltvollen geben. So berichtete bereits das Szenemagazin „Polylux“ über den Trend. Während dort aber eher abschreckende Beispiele von geltungssüchtigen Hilfswissenschaftlern und unterforderten Doktoranden an Plattentellern aufgeführt wurden und die fragwürdigen „Superbunnys“ zu ihrem albernen Tun befragt wurden, hat sich das wahnsinnig selbständige Berliner Publikum diesen Trend schon längst zu Eigen gemacht: Bei der Eröffnung des neuen Bad Kleinen am Samstag zum Beispiel zog es die Gäste vermehrt nach draußen. Man versammelte sich eher zufällig um eine nahe stehende pittoreske Statue, und sofort ging ein lebendiges Wissenschaftsquiz los: Was mag das Standbild darstellen, die Frau, den Knaben, die Gans, den Rattenkranz? Aus welchem Jahrhundert mag es stammen?
Ist es eine Allegorie? Warum scheint das aufrecht sitzende Rättlein so golden? Ist es präpariert? Wird es vielleicht wegen eines alten Brauches immer wieder angefasst und erstrahlt deshalb wie Gold? Meinung um Meinung wurde vertreten, manch einer konnte mit seinem Wissen um Bronzelegierungen und Stadtgeschichte glänzen. Andere versuchten im Licht des Feuerzeugs die eingemeißelte Inschrift am Sockel zu entschlüsseln. Man konnte sich vor lauter Wissbegierde kaum losreißen, musste doch aber auch im Inneren des BK pflichtgemäß den normalen Vergnügungen nachgehen.
Einige Kritiker bemängelten im Nachhinein, dieser erste Abend im neuen BK sei „zu chillig“ gewesen, zu relaxt, ein bisschen langweilig sogar. Dabei hatte es auch jenseits der Statue so schöne Momente gegeben! Herrlich, das raue Ambiente, der unebene Boden, die Musik des beseelten DJ, das wohlige Gefühl, wenn der schlechte Sekt und der warme Wein schon beim Trinken bereits wieder sauer hochkommen! Und außerdem, was soll das heißen, es sei langweilig gewesen? War es, wenn wir ganz ehrlich sind und die verklärende Wirkung der Erinnerung abrechnen, im BK I und II nicht oft ein wenig langweilig? Führt der Weg zu höheren Partygefühlen nicht oft durch ein beträchtliches Maß an Langeweile? Wird der wahre Exzess nicht immer durch Langeweile und Verzweiflung geboren? Also.
CHRISTIANE RÖSINGER