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themenläden und andere clubsWie man sich in der Freizeit erfolgreich gegen die Roncallisierung der Fußballkultur stark macht und Spaß dabei hat

Freunde, bildet Arbeitsgruppen

Eine neue Ernsthaftigkeit macht sich breit: Das reine Ausgehen ist so out wie schon lange nicht mehr. Sinnentleerte Vergnügungen, dummes Geschwätz: Wie leicht hinterlässt das doch ein schales Gefühl. Denn im Grunde unseres Wesens sind wir gar nicht so oberflächlich, streben auch wir nach Höherem, irgendwie Geistigem. Irgendwann ist es nicht mehr genug, sich in die berühmte linke Melancholie fallen zu lassen, reicht das leichte Uneinverstandensein mit den Verhältnissen nicht mehr zur politische Legitimation.

So kommt es, dass sich immer mehr Menschen abends in so genannten Arbeitsgruppen treffen. Professionelle und wirklich schicke Arbeitsgruppen kommen mit einem konkreten Vorhaben zusammen: Zeitung, Fanzine, Ausstellung, Fördergelderbeantragung usw. Intellektuelle Lesegruppen arbeiten gerne die modernen Theoretiker durch, weniger elitäre Lesezirkel nehmen sich die Romane des 19. Jahrhunderts vor.

„So weit, so gut, der neue Trend, aber wie finde ich auf die Schnelle Anschluss an eine Arbeitsgruppe?“, mag sich jetzt der Leser fragen. Da heißt es erst einmal klein anfangen und sich im eigenen Umfeld umsehen. „ Sind wir zusammen, oder ist es ein Projekt?“, fragt sich der eine oder andere in der Partnerschaft doch öfters. Und voilà! Beziehung ist Arbeit, ist Projekt: Ein gemeinsamer Abend, womöglich noch mit Aussprache oder Sex, ist letztendlich auch ein Arbeitsgruppentreffen. Wobei eine Zweierarbeitsgruppe sich thematisch gerne im Kreise dreht und auf Dauer wenig Vergnügen und geistige Inspiration verspricht.

Der politisch motivierten Arbeitsgruppe mangelt es nicht an Themen, so vieles liegt ja im Argen. Die noch recht junge Gruppe „Andere auch“ zum Beispiel kümmert sich jetzt schon um die Fußball WM 2006. Denn der gefürchtete Feuerzauberer, Visionär, Poet, Aktions- und Multimediakünstler André Heller hat auf obskurem Weg den Auftrag zu Ausrichtung des Kulturprogramms zur WM erhalten. Ein äußerst hässliches Bauwerk, der begehbare Fußball, verschandelt ja schon seit Wochen das Brandenburger Tor.

Was mag da noch kommen? „Orte der Kraft“, „Theater des Feuers“, traurige Seifenblasenclowns? Bei André Heller erhärtet sich eben immer wieder der alte Verdacht, dass zuviel Fantasie auch schädlich sein kann. Gegen diese schlimme Roncallisierung der Fußballkultur hat sich eben die Arbeitsgruppe „Andere auch“ zusammengetan.

Generell sind die Mechanismen und Regeln einer Arbeitsgruppe so vielfältig wie ihre Themen. So werden Pünktlichkeit und Anwesenheitspflicht mal mehr, mal weniger groß geschrieben. Wie an der Uni oder in der Schule gibt es die Besserwisser und Streber, aber auch den versteckten Hedonisten, dem die Arbeitsgruppe lästige Pflicht ist, bei der er nur wegen der Kür, dem Sozialen danach, dem schnöden Was-trinken-Gehen mitmacht. Über erste Mobbingfälle in Arbeitsgruppen wurde bereits berichtet.

Wie fast alles, kann man auch die Sache mit den Arbeitsgruppen übertreiben. Da leidet dann vor lauter Eifer – Projekte, Projekte, Projekte – das Privatleben. Die Projektesucht gilt neben der Kaufsucht schon als die neue große Sucht unserer Zeit. Mehr als drei Arbeitsgruppen sind daher nicht zu empfehlen. Mindestens drei Abende pro Woche sollte der allseits interessierte Mensch sich für ausgiebiges Fernsehen und zweckfreies Trinken freihalten, nur so ist eine umfassende Herzensbildung garantiert.

CHRISTIANE RÖSINGER

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