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themenläden und andere Clubs Neigung zu großen Gefühlen und schrecklicher MusikDer Irish Pub unter osteuropäischen Bedingungen

Die Welt ist groß und der Mensch ist klein. Und weil der kleine Mensch sich deshalb leicht in der großen Welt verläuft, schafft er sich, wo er geht und steht, Orientierungspunkte, die ihm helfen, den Weg im Auge zu behalten. Diese Orientierungspunkte sorgen dann dafür, dass der Mensch sich irgendwann sicher fühlt, sozusagen geborgen und behütet. Und dort, wo er sich geborgen und behütet fühlt, fühlt er sich bald heimisch. Was dazu führt, dass er sich dort, wo er sich nicht heimisch fühlt, im Zweifelsfall bald Heimweh entwickelt. Irgendjemand, der sich irgendwann einmal ganz unheimisch fühlte, muss wohl unter dem Leidensdruck seines Heimwehs einen jener Orte eröffnet haben, in denen er sich seiner Heimat näher fühlte. Er eröffnete einen Irish Pub.

Man darf davon ausgehen, dass dieser jemand ein Ire war, ein Brite war er mit aller Wahrscheinlichkeit nicht. Vielleicht war er aber auch ein Irland-Urlauber. Denn Urlauber, die ihr Urlaubsland mit gewisser Hartnäckigkeit bereisen, fangen mit der Zeit an zu glauben, dass sie ihrem Urlaubsland näher stehen als ihrem Herkunftsland, was dann zu einer gravierenden Verwechslung des individuellen Heimweh- oder Fernwehgefühls führt; weswegen man also davon ausgehen darf, dass derjenige, der den ersten Irish Pub außerhalb der Grenzen Irlands eröffnet hat, entweder Ire oder zumindest ideeller Ire war.

Die Idee dieses Iren oder ideellen Iren, das kann man heute sagen, hatte Erfolg. Überall auf der Welt gibt es heute Irish Pubs, überall sehen die Irish Pubs gleich aus: die gleichen Tische, die gleichen Sitzgelegenheiten, die gleichen Tresen. Bestimmt gibt es irgendwo einen zentralen Irish-Pub-Austatter, der lichtundurchlässige Fenster liefert, das Mobiliar in den Tönen dunkelgrün und braun sowie zur Beschallung den notwendigen Satz Dubliners-Platten, jener urigen Formation weitgehend zahnloser Alkoholiker. Im Hinblick auf eine intensivere touristische Erschließung wurde nach dem durchschlagenden Erfolg des Irish-Pub-Konzepts wahrscheinlich sogar ganz Irland nach dem Stil der Irish Pubs umgerüstet, das könnte jedenfalls sein. Seltsam ist daran vor allem, dass es auf der Welt möglicherweise mehr Irish Pubs als waschechte Iren gibt, was nur den Schluss zulässt, dass die Anzahl der ideellen Iren enorm hoch ist, zumindest die Anzahl derer, die gern ideelle Iren wären.

Doch wie hoch ist die Zahl der ideellen Russen? Von der so genannten Russendisko, wie sie im Kaffee Burger gefeiert wird, weiß man, dass auch sie überaus erfolgreich ist. Und wie beim Irish Pub weiß man eigentlich nicht, warum. Andererseits gibt es viele Übereinstimmungen. Man beachte die Struktur des Namens, das Phänomen des Heimwehs, des Fernwehs und seiner latenten Verwechslung.

Man beachte auch die große Trinkertradition beider Länder sowie die Neigung zu großem Gefühl und schrecklicher Musik. Und dann schaue man sich das Kaffee Burger einmal genauer an. Sieht es dort nicht aus wie in einem Irish Pub unter osteuropäischen Bedingungen? Man kann also sagen, dass die Russendisko unter Umständen der Irish Pub der Zukunft ist und damit vielversprechendes Konzept.

Aber wie sieht es mit dem „Club der polnischen Versager“ aus, einem anderen Beispiel regional gefärbter Ausgehkultur, nur wenige Meter vom Kaffee Burger entfernt? Nach allem, was man weiß, nicht gut. Schon der Name spricht für ein Scheitern und ist überdies weder originell noch kokett, sondern eher blöd. Wenn Deutsche, Franzosen oder Werauchimmer sich „polnische Versager“ nennen würden, dann hätte das Ganze noch etwas Witz, aber so steht es für Versagen auf ganzer Linie. Polnisches, wie gesagt. HARALD PETERS

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