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Archiv-Artikel

theaterformen: kritik der kritik Eine sehr, sehr ernsthafte Aufgabe

Diese Kritiker! Wie sehen die wohl aus, diese Parasiten des Theatersystems? Wären sie empfindsam in ihrer Arroganz, sympathisch in ihrer Profilierungssucht? Oder – ganz anders: Handelt es sich bei den wenigen Rezensenten, die ihre Ansichten noch unzensiert publizieren gar um die letzten Rock’n’Roller des Journalismus? Kreative Querulanten zwischen den Erwartungen von Künstlern, Zuschauern und PR-Maschine! Wäre doch super, auch diese Theater-Helden einmal bei der Ausübung ihrer Kunst zu erleben. Und wäre doch super für diese Spezies, die Erwartungen der Leser im Rücken zu spüren – Kritik der Kritik schon während ihres Entstehens!

Weil das gut zum Anspruch des Festivals Theaterformen passt, schickt man nach den Gastspielpremieren die Kritikerstars für 30 Minuten in die Manege. Meinungsmacher im Kampf um Deutungshoheit: Denken live, am Laptop und auf eine Leinwand projiziert. Nach Alvis Hermanis Revizor-Aufführung im Braunschweiger Staatstheater traten an: Benno Schirrmeister (taz Nord) gegen Ronald Meyer-Arlt (Hannoversche Allgemeine Zeitung). Ihre Arbeitsdrogen: Kaffee und Wasser (Schirrmeister) – Bier (Meyer-Arlt). Ihr Outfit: rollkragenpullilässig, cargohosenlustig, unscheinbar bebrillt – edel beanzugt, elegant beschuht, intellektuell bebrillt. Erste graue Haare gegen kaum noch Haare. Vor der errichteten Kampfzone steht: „Ab hier ist Rauchen untersagt“. Also fluppt die Zigarette unangezündet in Schirrmeisters Mund. Sein Gegenüber ist frei von solchen Gelüsten. Das hin und her schlendernde Publikum begafft die Schreiberlinge – und schwelgt zwischen Kritikergläubigkeit und Kritikerhass. „Was die da wohl wieder schreiben?!“

Der Cursor flitzt. Markieren, löschen, verschieben, einfügen. Meyer-Arlt schreibt fragmentarisch – hier ein paar Sätze zum Thema Groteske, dort etwas zur schrillen Figuren-Ästhetik der Festspiele. Schirrmeister formuliert druckreif. Erste Groupies hocken ihrem Star zu Füßen. Schirrmeister hat 14, Meyer-Arlt 20 Fans nach zehn Minuten. Hier wird die Überschrift („Das Überwachungshuhn im Land der Dicken“), dort der Einstieg gelobt. Meyer-Arlt punktet mit einem Affront gegen die Veranstaltung. „Theaterkritik“, schreibt er, „ist keine Partyveranstaltung.“ Sie sei eine „sehr, sehr ernsthafte Aufgabe“. Die Duellanten zur Aufführung: Er findet, dass 3,5 Aufführungsstunden für die Geschichte zu lang seien, sich die Komik verflüchtige. Schirrmeister schwärmt von „einem taumelnden Reigen zwischen Slapstick und Tragödie“.

Timeout. 73 : 31 Zeilen sprechen für Meyer-Arlt. Die Arbeit wird weiter wie eine Installation im Foyer ausgestellt. Anregung für Small-Talk. Aber einigen Besuchern juckt es in den Fingern. Endlich mal das Machtverhältnis umkehren, eingreifen. Ran an Schirrmeisters Tastatur, den Text fortschreiben, verändern, ironisieren: Rückkehr der Demokratie ins Rezensionswesen. Jeder ist ein Kritik-Künstler. Jens Fischer