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tellerrandFleischbällchen im Sarods

Schwitzen wie auf der Baustelle

Die asiatische Küche ist dafür bekannt, einen großen Hunger nur mit vielen kleinen Portionen verschiedener Gerichte stillen zu können. Überdimensionale Braten, gewaltige Knödel und stopfende Kartoffeln stehen nicht auf der fernöstlichen Speisekarte. Deshalb verirren sich Maurer, Schreiner und Installateure nur selten in ein thailändisches Restaurant. Sie haben einfach keine Lust, winzige Reiskörnchen mit Stäbchen zum Mund zu jonglieren.

In der Kreuzberger Friesenstraße am Marheinekeplatz aber saß kürzlich ein Handwerker im Blaumann. Er hatte gehört, dass es im „Sarod Thairestaurant“ für 5 Euro ein „Lunch Buffet“ gab. Tatsächlich standen auf kleiner Flamme unzählige Töpfe und Kasserollen, in denen Suppen dampften, kleine Fleischbällchen dufteten, farbenfrohes Gemüse mit purpurroten Chilischoten lockte.

Der Mann bestellte er zuerst ein Bier und setzte sich an den Tisch neben der Anrichte, von wo aus er genau beobachten konnte, womit die anderen Gäste ihre Schüsselchen und Tellerchen füllten. Keiner ließ die Suppe ganz links aus, also begann auch er mit einer „Tom Kaa“, einer Hühnersuppe mit Zitronengras und Kokosmilch. Sehr interessant, sagte sich der Gast, so etwas hatte er noch nie gelöffelt. Nur nach Huhn schmeckte sie überhaupt nicht .

Auch das bunte Gemüse mit den weißen Würfeln, das er probierte, weil die beiden Frauen am Tisch gegenüber schon zum dritten Mal die Kasserolle ansteuerten, war ein vollkommen neues Geschmackserlebnis. Lediglich die gummiartigen Würfel, die er zuerst für Käse gehalten hatte, schienen ihm zwischen den aromatischen Dschungelfrüchten fehl am Platz. Dieser Tofu erinnerte ihn an eine geschmacklose Oblate, die ihm einst ein Ministrant in den Mund geschoben hatte.

Aus vier verschiedenen Töpfen hatte er bereits gekostet, als er sich endlich dem längst zum Hauptgericht erwählten Topf zuwandte. Das waren die kleinen Fleischbällchen, die von den Kreuzberger Vegetariern verschmäht noch immer unberührt in ihrer leuchtend roten Soße schwammen. Da noch viele der appetitlichen Klößchen da waren, nahm er gleich sieben Stück und zwei große Löffel von der roten Soße.

Da saß er dann und arbeitete sich im Schweiße seines Angesichts bis zum fünften Klops vor, er sah aus wie auf der Baustelle. Er versuchte das Brennen des Chilis mit Bier zu löschen, doch es wurde immer schlimmer, immer mehr Flüssigkeit trat aus seinen Poren, bis der letzte Fleischball vor seinen tränenden Augen in der Unsichtbarkeit verschwamm. Er schob den Teller ein Stück von sich und legte für einen Moment das Werkzeug nieder.

Der Arbeiter hatte noch nie etwas auf seinem Teller zurückgelassen, aber als die Thailänderin fragte, ob er das Speisen beendet habe, nickte er nur stumm und zog einen verschwitzten Geldschein aus der Hosentasche. Ob es geschmeckt habe, fragte sie. Er sagte nichts, aber er versuchte angestrengt zu lächeln. Blaumänner sind wie Indianer, und Indianer kennen keinen Schmerz. HANS W. KORFMANN

Sarods Thairestaurant, Friesenstraße 22, 12–24 Uhr, Tel. 69 50 73 33

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