tellerrand: Das Iskele am Urbanhafen
Offene weiße Hemden
„Das schaukelt ja überhaupt nicht.“ – „Ist ja auch Windstille, und außerdem liegen wir im Hafen.“ Im Urbanhafen liegen viele Schiffe, die nie wieder auslaufen werden, lauter schwimmende Café-Restaurants. „Aber so ein kleines bisschen müsste es doch schaukeln!“ Der Freund war von Anfang an skeptisch. Ein türkisches Lokal! Döner und Tatsik! Auf einem Schiff!
Da fuhr draußen eine dieser Berliner Jachten vorbei mit halb nackter Frau im Badeanzug auf dem Vorderdeck und Bierbauch hinterm Steuer, bei denen sich jeder Neuankömmling fragt, wie sich das Schiff von Monaco bis hierher verirren konnte. Dabei hat es Berlin nie verlassen. Aber immerhin, es schlägt Wellen. Auch das türkische Restaurant mit den bunten Lichterketten, die sich von Bord an Land schwingen und in den Bäumen verfangen haben, beginnt leicht zu schaukeln.
Da kommt ein kleiner Ecevit, so ein kleiner Ober mit Brille, strahlend weißem Hemd und von Unschuld strahlendem Lächeln. Der Deutsche erhebt sich und legt den Kopf zur Seite, denn er weiß, er ist knapp unter Deck. Mit weit ausholenden Schritten schreitet er voran, hinter ihm her der kleine Kellner. Ziel ist die Vitrine mit den Fischen. Der lange Deutsche zeigt mit dem Finger auf einen der akkurat drapierten Fische zwischen den Salatblättern. Sein unrasierter Freund ist allein am Tisch zurückgeblieben. Mit dem fehlenden Knopf an seinem blumigen Hemd scheint er sich nicht wohl zu fühlen. Alle Herren im Schiffsbauch tragen weiße Hemden, und die schwarzhaarigen Damen, die von ihren Herren zum vertraulichen Beisammensein in gehobener Atmosphäre eingeladen wurden, sind beim Kerzenschein schöner als im Fernsehen. Lediglich die Familie mit den drei Kindern und zwei türkische Teenager, sie sich offenbar heimlich treffen, sind in T- Shirts angereist.
Der Lange kommt zurück, hinter ihm her der kleine Kellner, in der Hand eine Flasche Wein und zwei Gläser. Da ertönt laute Musik. Eine schmerzvolle, seufzende, klagende Musik, begleitet von der unsterblichen Hammondorgel. Auch der Mann hinter dem Mikrofon strahlt in weißem Hemd, unverzüglich greift der Freund nach dem fehlenden Knopf.
Doch da ist die Dorade, gegrillt; herrlich dampft es aus dem weißen Fleisch, der Lange muss die Augen schließen: Köstlich! Auch sein unrasierter Freund spießt immer zufriedener die Weinblätter auf dem Teller auf und lutscht an den Oliven. Sogar der Wein an Bord schmeckt. Die beiden bestellen sogar noch ein paar Tintenfische, ein Stückchen Lamm dazu, alles schmeckt. Am Ende lehnt sich der skeptische Freund entspannt zurück und öffnet, aus Solidarität zum ersten fehlenden Knopf, einen zweiten.
Als Ecevit die Teller abräumt, sich verbeugt und fragt, ob es auch geschmeckt habe, antwortet der Freund: „Es schaukelt zu wenig, und die Musik ist grässlich. Nur das Essen war fantastisch.“ Da lächelt Ecevit ein großes, breites Lächeln. Er weiß inzwischen, was so ein echtes Berliner Lob wert ist.
HANS W. KORFMANN
Restaurant „Iskele“, Planufer 82, Tel. 69 50 72 65, geöffnet täglich von 11 bis 2 Uhr, U-Bahnhof Prinzenstraße
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen