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taz-lab-Kolumne S(ch)ichtwechsel #5 Grüne Stadtidylle?

Auf der Suche nach Illustrationen der lebenswerten Stadt von morgen finden wir Stadtmarketing-Utopien aus der Hölle.

Im grünen Mulch verschwinden schnell mal die Menschen und ihre Bedürfnisse Davide Monteleone / laif

Von RAOUL SPADA

taz lab, 12.02.2022 | Riesige Schmetterlinge umkreisen in windigen Höhen die begrünten, 12-stöckigen Hochhäuser, die in angenehm unaufgeregtem Rhythmus neben Einfamilienhäusern hervorragen. Windräder drehen sich über den Dächern und Baumwipfeln.

Auf einer mit Blumen gespickten, im Sonnenlicht hell schimmernden Wiese fahren glückliche Paare Fahrrad. Keine Straße weit und breit, auf der ihnen ein Auto begegnen könnte. Eine Utopie des bewohnten Raumes – teils Land, teils Stadt – und nur das Beste von beidem.

Glückliche Mütter schieben sorglos ihre Kinderwägen, ein Mädchen führt den Familienhund spazieren, ihren kleinen Bruder an der rechten Hand. Gegenüber schlendert die Nachbarsfamilie – Mutter, Vater, Sohn und Töchterchen, ganz heteronormativ und kernfamiliär.

Stock-Fotos aus der Hölle

Das Bild in der taz

Illustration: Adyna / getty images

Diese Stock-Illustration bebilderte vor zwei Wochen – in der taz am Wochenende vom 29./30. Januar 2022 – den taz-lab-Artikel „Für eine solidarische Mobilitätswende“. Die „Horrorvision einer voll verkackten Zukunft, wie sie uns hoffentlich niemals blüht“ also, wie einer unserer aufmerksamen Leser bemerkt.

Alle Frauen im Rock, mit glatten Zöpfen ausgestattet, wahlweise mit Kinderwägen oder mit den Bälgern unterwegs. Die Menschen hier sind noch grüner als ihre Umwelt, sonst würde man sehen, dass hier selbstverständlich alle weiß sind. Riesige Einfamilienhäuser und Bürotürme lassen keinen Platz für alternative Wohnformen und Lebensmodelle.

Durchoptimierte Utopien der Stadt von morgen

Immer mehr Geld wird vor jedem Projekt in solche Architekturvorschauen gepumpt. Auch die Berliner Grünen visualisieren ihre politische Hauptstadtvision mit frühsommerlichen Gartenstadt-Bildern – aus jedem Dach und jeder Fassade quillt der grün sprießende Mulch.

So ist eine neue Kunstform im Entstehen: stadtmarketing-technisch durchoptimierte Illustrationen der „Stadt von morgen“ in nahezu buddhistisch-perfekter Balance. Aufgeräumte, grüne Städte – und dazwischen verschwimmen die Menschen zu einer gleichförmigen Masse, zur bloßen Staffage der Utopie einer klimagerechten Gesellschaft.