taz-Veranstaltung über Afghanistankrieg: Kritik an Obamas neuer Strategie
Bei einer taz-Veranstaltung über Deutschlands Rolle im Krieg am Hindukusch plädierten Bundestagsabgeordnete dafür, die Bundeswehr möglichst bald zurückholen zu wollen.

BERLIN taz | US-Präsident Barack Obamas Verkündung einer neuer Afghanistan-Strategie hat drei zur taz-Diskussion geladene Bundestagsabgeordnete nicht überzeugt. Sie müssen am Donnerstag über das ISAF-Mandat für die Bundeswehr abstimmen, das die Regierung um ein weiteres Jahr verlängern will. Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, vermisste bei Obamas Rede konkrete Hinweise auf eine Strategie zur Einbeziehung afghanischer Regierungsgegner. Auch fehle ihm ein stärkerer regionaler Ansatz, insbesondere eine Einbeziehung des benachbarten Iran.
Der verteidigungspolitische Sprecher der Partei Die Linke, Paul Schäfer, begrüßte, dass Obama erstmals ein konkretes Datum für den Beginn des Truppenrückzugs aus Afghanistan genannt hat. Das sei bis dahin immer verteufelt worden. Doch wie Obama über eine Eskalation einen Ausstieg erreichen zu wollen, werde nicht funktionieren, sagte Schäfer bei der Veranstaltung im taz-Café. "Man hat in Washington realisiert, dass man in Afghanistan im Morast steckt. Aber man hat noch nicht realisiert, dass die Nato-Truppen dort mit dem Regime zusammen ein Hauptproblem sind."
Omid Nouripour, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen, vermisst nach wie vor die richtige Strategie. Er sagte voraus, dass die Hauptbotschaft der Aufstockung der US-Truppen am Hindukusch um weitere 30.000 Soldaten bei der größten afghanischen Ethnie der Paschtunen feindlich aufgenommen werde: "Dort gibt es einen wachsenden paschtunischen Nationalismus". Den Paschtunen keine weiteren gemacht zu haben, sei ein großer Fehler Obamas. Der grüne Abgeordnete lehnt die Aufstockung um 30.000 Soldaten ab. Doch sei dies weniger schlimm als die von US-Vizepräsident Joe Biden georderte Aufstockung um quasi 30.000 Drohnen, was die Zahl ziviler Opfer sicher noch mehr erhöhen würde.
Einig waren sich die drei Abgeordneten darin, die Bundeswehr möglichst bald aus Afghanistan zurückholen zu wollen. Doch bei der konkreten Umsetzung wurden die Differenzen sehr deutlich. So wollen Nouripour und Mützenich heute wieder für eine Verlängerung des Mandats stimmen, Schäfer erneut dagegen. "Was wird passieren, wenn ISAF aus Afghanistan abzieht?", fragte Nouripour. "Frauengruppen sagen uns, dass die Afghanen momentan nicht für Sicherheit sorgen können." Einer von den USA angeforderten Aufstockung der Bundeswehr steht er jedoch kritisch gegenüber. So fehlten in Kundus vor allem Polizisten. Statt mehr deutsche Soldaten dorthin zu schicken, sollte Deutschland lieber afghanische Polizisten bezahlen.Auch Mützenich sieht die Voraussetzungen für einen Abzug der Bundeswehr noch nicht als gegeben an.
Schäfer hingegen sieht in der Formulierung einer raschen Abzugsperspektive die Voraussetzung für ernsthafte Verhandlungen. "Der gewaltförmige Konflikt muss in einen politischen Konflikt transformiert werden," so der Linkspolitiker. Die Wiederausdehnung des Krieges und die Militarisierung durch die Nato habe die Fortschritte bei den Frauenrechten zunichte gemacht.
Mützenich und Nouripour befürworteten ebenfalls Verhandlungen mit den Taliban, sehen die Chancen dafür auf nationaler Ebene zur Zeit aber nicht. "Auf lokaler Ebene gibt es sie längst," sagteNouripour. Mützenich und Nouripour räumten ein, dass ihre Fraktionen den unter der rot-grünen Bundesregierung begonnenen Bundeswehreinsatz heute kritischer sehen. "Wir sind ja damals mit der Vertrauensfrage [von Bundeskanzler Gerhard Schröder] auch dazu gezwungen worden," sagte Mützenich. Die Grünen werden sich laut Nouripour, der innerhalb seiner Fraktion eine Minderheitenmeinung vertritt, bei der Abstimmung über das Mandat mehrheitlich enthalten. Die zweitgrößte Gruppe innerhalb der Fraktion seien die Gegner des Mandats.
Die von der Bundeswehr zu verantwortende Bombardierung zweier gekapterter Tanklaster Anfang September bei Kundus, bei der bis zu 142 Menschen einschließlich vieler Zivilisten getötet worden waren, sahen die drei Abgeordneten als Zäsur des deutschen Einsatzes. Sie hatten kurz vor der vom taz-Autor und Militärexperten Eric Chauvistré moderierten Diskussion im Rudi-Dutschke-Haus gemeinsam mit ihren Fraktionen einen Untersuchungsausschuss zu Kundus durchgesetzt. "Dieser Angriff in Kundus war nicht nur unangemessen, sondern schädlich," sagte Mützenich. Er vermutet, dass sich aus dem von Obama genannten Termin des Abzugsbeginns 2011 eine neue Eigendynamik entwickeln werde, welche die künftige Diskussion um den Einsatz beeinflussen wird. "Wir sind eher in fünf als in zehn Jahren aus Afghanistan draußen," prophezeite Nouripour. "Wir müssen in dieser Legistlaturperiode den Abzug einleiten."
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