taz-Sommerserie (Teil 10): das KaDeWe.: Der Streichelzoo für Erwachsene
Millionen Touristen waren schon drin. Millionen Berliner noch nie. Eine der standhaften Ignorantinnen gibt nach. Für die taz tauchte sie in die mondäne Konsumwelt des Kaufhauses des Westens.
Das KaDeWe war mir bisher schlicht egal gewesen. Es existierte nicht auf meinem inneren Berlinplan. Schließlich ist das KaDeWe ein Kaufhaus - ein besonders riesiges und traditionsreiches zwar. Aber: Wozu braucht der Mensch heute noch Kaufhäuser?
Mir fiel darauf schon lange keine vernünftige Antwort mehr ein. In meiner Nachbarschaft in Friedrichshain gibt es kein Kaufhaus, ich vermisse nichts. Fast wöchentlich öffnet ein neuer kleiner Laden, samstags ist Wochenmarkt. Und notfalls liegt das Internet immer noch näher als der Wittenbergplatz.
Ein "Luxus-Tempel" sei das "Kaufhaus des Westens", ein "Konsum-Dom", jubeln Werbetexter und Journalisten, das größte Warenhaus auf dem europäischen Kontinent, wo den Besucher einzigartige Shopping-Erlebnisse erwarten. Aber wenn ich etwas kaufen will, dann möchte ich bitte nichts erleben müssen. Sollte ich mit meiner Ignoranz falsch liegen?
Das sagt "berlin.de": "Berlin ohne das Kaufhaus des Westens wäre unvorstellbar. Das größte Warenhaus auf dem europäischen Festland ist mehr als ein gut sortiertes Einkaufsparadies. Das KaDeWe ist eine Legende."
Das sagt der "Lonely Planet": "Shopaholics kommen in diesem gigantischen Kaufhaus garantiert auf ihre Kosten. Das Angebot ist gewaltig - was hier nicht zu kriegen ist, gibt es wahrscheinlich gar nicht."
Öffnungszeiten: derzeit Montag bis Freitag 10 bis 20 Uhr; Samstag: 9.30 bis 20 Uhr.
Nächsten Freitag: Helmut Höge über den Berliner Dom.
Kennen Sie das? Alle Ihre Freunde aus Dortmund, Alpirsbach und Pirna waren schon auf der Reichstagskuppel, im Pergamonmuseum und am Wannseestrand - als Touristen. Und jedes Mal, wenn sie mit Ihnen sprechen, schwärmen die Freunde davon, wie eindrucksvoll das doch war. Und Sie? Trauen sich nicht zu verraten, dass Sie zwar jeden kleinen Händler im Bergmannkiez und jedes Café am Savignyplatz kennen, aber einige dieser Berlin-Highlights noch nicht mal aus der Ferne - obgleich Sie schon seit 14 Jahren in der Stadt leben. Macht nichts: Das geht vielen Berlinern so, sogar taz-Redakteuren.
Jetzt soll sich das aber ändern. In unserer Sommerserie besuchen tazler jene berühmten Orte, an denen sie noch nie waren. Heute: das KaDeWe.
Ich will es wissen. Später Mittwochnachmittag. Vor mir steht das KaDeWe. Ein klassisch strenger Bau aus grauem Sandstein. Sieht aus, als könne er tonnenweise Charme bergen. Ich hoffe auf gebügelte Stofftaschentücher, 4711, auf Persianerpelzmäntel und Großtantentorten. Auf ein Refugium dieses reichen alten Westens, den ich aus den Fotoalben meiner Omas kenne.
Ich öffne die Schwingtür. So hatte ich mir Shoppingpaläste in Dubai vorgestellt. Zwischen Marmordekor reihen sich glitzernde Shops. Gucci, Prada, Chanel, Cartier. "Luxury Boulevard" steht auf einem Wegweiser. Scheint, als wäre das nicht meine Richtung.
Vorbei an der "Mens Fashion" im ersten Stock fahre ich mit der Rolltreppe zur "Ladies Fashion". Sie sieht aus wie eine gigantische Damenabteilung in einem Karstadt-Spezial für Reiche. Man könnte meinen, es gehe nicht um die Kleidungsstücke, sondern um deren Fabrikat. Überall prangen Labels an den Wänden. Armani, Bogner, Strenesse, Boss. Was in anderen Kaufhäusern als Luxus gilt, ist hier Billigware. Im Kleiderständerdickicht sieht man kaum eine Kundin, dafür viele elegante Verkäuferinnen.
Ich rupfe schwarze Kleider und teure Mäntel von den Ständern, falte Seidenhemdchen auf, warte auf den Moment, wo eine pikierte Stimme fragt: "Junge Frau, suchen Sie was Bestimmtes?" Nichts. Es scheint, als sei das KaDeWe in Wahrheit inzwischen weniger ein Kaufhaus, denn ein Streichelzoo für Erwachsene. Schauen, fühlen, staunen. Eintritt frei.
Die Preise jedenfalls sind kein Grund, irgendetwas zur Kasse zu tragen. Draußen in Berlin ist Sommerschlussverkauf. Und hier? Ich erkenne ein knallrotes T-Shirt wieder, das ich vorige Woche in Friedrichshain gekauft habe. Es war um die Hälfte heruntergesetzt. Im KaDeWe kostet es weiter 39,90 Euro. Aus den Deckenlautsprechern dudelt Xavier-Naidoo-Soul: "Wenn du nicht vergeben kannst, vergibst du viel." Ob er die unverschämten Preise meint?
Schon eine Stunde verbummelt. Wo steckt es bloß, das gute alte Westberlin? Womöglich in den oberen Geschossen. Ich drehe eine Runde durch den einsamen Nachthemdenwald im 3. Stock, eile weiter in die 4. Etage. Küchenutensilien so weit das Auge reicht. Wieder kaum ein Mensch zwischen Topfstapeln und Mülleimerkollektionen. Ich fühle mich wie nach drei Stockwerken im Louvre, wenn sich langsam der Wille verabschiedet. Ratlos stoppe ich vor den Küchenreiben, verliere mich in Gedanken. Vor mir blitzen edle Gurkenhobel, Kartoffelreiben, Rohkostreiben, Gemüsehobel, Universalhobel, Spätzlereiben Draußen muss es irgendwo Raspelfetischisten geben, denke ich, "Sie schauen nur?", fragt eine sanfte Frauenstimme hinter mir.
Ich schaue nur. Fragt sich nur: Wonach eigentlich? Die Feinschmeckerabteilung sei legendär, hatten mir Freunde versichert. Höchste Zeit für den 6. Stock.
Ich kann es kaum glauben. In Rudeln schieben sich Menschen durch die Regalgassen. Hier also stecken sie, die 50.000 Leute, die angeblich täglich ins KaDeWe drängen. Es riecht aufdringlich nach geschmolzenem Käse. Ich weiß längst nicht mehr, was ich noch wollen soll. Estragonsenf? Hummersuppe? Rosinenbrötchen?
An einem Tresen süffeln aufgekratzte Touristen Schampus rosé. "123,95, bitte!", sagt die Bedienung und reicht einem jungen Kerl die Kreditkarte zurück. Um die Ecke in der Getränkeabteilung trommeln vor einem Rumausschank zwei Latinotypen zu Dosenmusik. "Heal the World, make it a better place!" Ich frage mich, ob das ein Witz sein soll.
Ich habe keine Lust mehr. Aber soll ich dieses Haus nach fast zwei Stunden ohne Beute verlassen? Auf einem Wühltisch liegen schicke gelbe Dosen aus: "Swiss Cannabis Ice Tea". Nie gesehen. Ich greife zu.
Jetzt fehlt nur noch der Blick aus der Glaskuppel. Die Rolltreppe führt in ein Bistro, das "LeBuffet" heißt. Schöner Name. Es könnte auch "Selbstbedienung!" heißen. Für drei Euro darf man sich die Latte Macciato aus dem Automaten ziehen. Das Glas ist nach dem Milchschaum voll, der Espresso suppt ins Abtropfgitter.
Als ich einen Tisch am Fenster ergattert habe, klingelt mein Handy. Ein Kollege. Stolz kündige ich ihm den Cannabis-Eistee an. "Kenn ich schon", sagt er, "schmeckt süß."
Ich bin zufrieden. Der Ausflug hat sich gelohnt. Dieses KaDeWe und ich, wir brauchen uns nicht. Da bin ich mir jetzt sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei