taz Salon „Angst vor der Apokalypse“: „Man nimmt dem Kampf die Kraft“
Der Autor Christian Jakob warnt vor dem Reden von irreversiblen Kipppunkten. Sie überforderten Menschen und verwischten reale Unterschiede.
Taz: Szenarien vom Weltuntergang oder dem Ende der Zivilisation sind sowohl bei Rechten als auch bei Linken und Klimaschützer*innen verbreitet. Was ist das Attraktive an der Apokalypse?
Christian Jakob: Die absolute Dringlichkeit und die Unmöglichkeit, sich den Konsequenzen zu entziehen. Im Politischen wird immer öfter mit solchen Szenarien operiert, um das eigene Anliegen durchzusetzen. Vor allem Rechtsextreme sind darin erfolgreich: Sie beschwören den Untergang und behaupten, es gäbe eine allerletzte Chance, das Unheil abzuwenden. Daraus entwächst ein vermeintliches Notwehrrecht. Wem das totale Unheil droht, der ist schließlich legitimiert, es mit allen Mitteln abzuwehren.
taz: Die Endzeit-Erzählungen von Klimaschützer*innen hingegen sind nicht so aus der Luft gegriffen.
Jakob: Wenn es darum geht, dass natürliche Lebenswelten verschwinden, stimmt das, und es ist legitim darauf hinzuweisen. Wer aber vor dem Aussterben der Menschheit warnt, verwischt die großen Unterschiede in der realen Betroffenheit. Alle werden dann ein großes Opfersubjekt, indem die realen Unterschiede nicht mehr sichtbar sind. Und man nimmt dem Kampf, der nötig ist, um die Verluste einzudämmen, die nötige Kraft.
Christian Jakob, Jahrgang 1979, ist seit 2006 Redakteur der taz. Erst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Reportage und Recherche-Ressort. Sein Buch „Endzeit“ erschien 2023 im Aufbau-Verlag.
taz: Angst kann auch ein Alarmsignal sein und Menschen aufrütteln.
Jakob: Ja. Aber wenn man die Ansprüche an das sofortige Handeln überfrachtet, kann es dazu führen, dass Menschen sich entmutigt fühlen. Wenn man sagt, die nächste Bundesregierung sei die letzte, die noch die Weichen stellen kann zur Eindämmung der Krise, und die Bundesregierung dann nichts unternimmt, führt das zu Frustration und Verzweiflung.
taz: Aber wenn es stimmt, ist es doch besser, frühzeitig darauf hinzuweisen.
taz Salon „Angst vor der Apokalypse“, Diskussion mit Christian Jakob, moderiert von Katharina Schipkowski. 22.10., Einlass 18:30, Beginn 19:00, Hansa 48, Hansastraße 48, Kiel Eintritt frei, Anmeldung unter https://taz.de/taz-Salon-mit-Christian-Jakob/!vn6036396/
Jakob: Egal wie weit die Krise voranschreitet – es geht ja nicht anders, als an einen Umgang damit zu finden. Außerdem ist der Fatalismus nicht immer berechtigt. Etwa beim „autoritären Kipppunkt“, also der Behauptung, wenn wir jetzt nicht die Notbremse ziehen, haben wir dauerhaften Faschismus. Es gibt viele Fälle, wo wir sehen, dass sich autoritäre Entwicklungen zurückdrängen lassen, etwa in Brasilien oder Polen. Der Schaden ist in der Kipppunkt-Vorstellung aber irreversibel. Und das kann eine gefährliche Lähmung des Handelns nach sich ziehen.
taz: Greta Thunbergs Angst vor der Klimaapokalypse hat Millionen Menschen mobilisiert. Wie viel Angst ist produktiv?
Jakob: Das ist nicht allgemein zu sagen. Es braucht eine Balance. Da, wo die Angst so groß wird, dass sich Menschen resigniert zurückziehen, liegt die Grenze. Beim Konsum zu vieler schlechter Nachrichten etwa kann es passieren, dass Menschen versuchen, Nachrichten ganz zu meiden. Dann verabschieden sie sich aus gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und suchen in ihrer Verzweiflung die innere Immigration.
taz: Wie schafft man es, handlungsfähig zu bleiben?
Jakob: Es hilft, sich von Katastrophenszenarien nicht lähmen zu lassen, sondern auch den Blick für Fortschritte offen zu halten. Zum Beispiel sind die globalen Solarstromkapazitäten in den letzten Jahren nahezu explodiert. Das war so nicht absehbar. Man wusste zwar schon lange, dass Klimaschutz nötig ist, hat aber fast 40 Jahre so gut wie nichts unternommen. Erst 2018 kam wirklich Schwung in die Sache. Ich glaube das liegt an Greta Thunberg und Fridays for Future. Das ist auch ein Beweis für politische Handlungsfähigkeit, der wenig gewürdigt wird.
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