taz-Krimi, Teil 3: Die Asylanten kommen
■ Eine Fortsetzungsgeschichte in fünf Folgen von Christine Grän / Schlägerei in der Schnapsfabrik in einem beschissenen Dorf in Deutschland / Wer zündete Bauer Hinrichs Scheune an?
Hinrichs Sohn, der sich die Haare kurzscheren ließ, erzählt in der Disco, daß die Ausländer an allem schuld sind. Woran? Na an dem Tod des Schäferhundes beispielsweise. Die mögen keine Hunde, die Ausländer. Rumänen und Jugoslawen sind sowieso Verbrecher und potentielle Mörder. Neger sind scharf auf deutsche Frauen. So was weiß man eben, das muß man nicht groß erklären.
Auf den Vorhalt, daß der alte Hinrich denen Quartier gemacht hat, gibt er zu, daß sein Vater das größte Arschloch von allen sei. Sein Bruder, der Dorftrottel, grinst zustimmend. Die Mädchen kichern, aber sie sind nicht sonderlich beeindruckt von den Reden der jungen Männer. Ist doch wenigstens was los im Dorf, seit die Typen hier sind. Einige sehen gar nicht übel aus. Und überhaupt hat der Pfarrer gesagt, daß alle Menschen gleich sind. Irgendwie.
Die Asylanten sind nicht alle gleich, das wissen sie nicht erst, seit sie in drangvoller Enge nebeneinander, miteinander leben. Die Rumänen können sich erstens mit den Jugoslawen nicht verständigen und beanspruchen zweitens die Führungsrolle. Die Jugoslawen sind untereinander zerstritten, es gibt ständig Schlägereien, die auf dem Hof der Brennerei ausgetragen werden, der von der Straße nicht einsehbar ist.
Die Afrikaner – aus Mosambik, Ghana und Somalia – sprechen verschiedene Sprachen, warum sollte die Hautfarbe verbinden? Wenn es überhaupt eine Gemeinsamkeit gibt, dann die Wut über den Scheißfraß, den man ihnen vorsetzt, das lächerliche Taschengeld, das nie für Schnaps und Zigaretten und Spielschulden reicht, die elende Frustration des Wartens.
Man wartet auf das Essen, den Sozialarbeiter, auf amtliche Bescheide, auf die Nacht. Man spielt Fußball, Karten, hängt vor der Glotze, streitet und prügelt sich. Man geht durchs Dorf und spürt Blicke im Rücken. Man gafft die Mädchen an, die sich kichernd wegdrehen. Das Klima ist kalt, und es gibt wenig, woran sie sich wärmen könnten. Die Zeit ist ein Feind. Warten und hoffen macht müde und aggressiv. Der Sozialarbeiter sagt ihnen, sie sollten mehr Sport treiben. Letzte Woche sind zwei Rumänen nach Frankfurt abgehauen, um in der Szene unterzutauchen. Sie wollen Geld verdienen, egal wie. Viele in der Schnapsfabrik sehen das ähnlich. Der Lehrer aus Mosambik schreibt Briefe, die vielleicht nie ankommen. – Jeder hat seine Geschichte, die er den Übersetzern erzählt. Sie gleichen einander, die Geschichten von politischer Unterdrükkung, Verfolgung, Krieg, Angst und Flucht. Wahrheit oder Lüge verschwimmen in der Gleichförmigkeit der Fragen, in der Kollektivierung von Schicksalen, in der Bedrohung von Abschiebung und Niederlage. Wenn überhaupt, dann will niemand mit leeren Händen zurückgehen. Armut ist auch Krieg, aber was wissen die weißen Maden davon, die im Speck leben?
Davids Familie hat alles an Bargeld zusammengekratzt, um ihn nach Deutschland zu schaffen. Jetzt warten sie in Yamfo darauf, daß er mit Geld und Geschenken wiederkehrt, irgendwann. Soll er den Leuten hier etwa diese armselige Story erzählen? Eins ist jedenfalls klar: In diesem beschissenen Dorf wird er nicht bleiben, hier läßt sich keine Kohle verdienen, hier gucken sie ihn an, als sei er ein Monster. Sind eben Bauern wie zu Hause in Yamfo. Nur ist dieses Dorf so viel stiller: kein Leben, keine Musik außer in der Disco, die wegen Überfüllung geschlossen war, als er reinwollte. Eben ein Scheißdorf mit Scheißleuten, die Welt ist voll von ihnen, und sie alle denken, sie seien etwas Besonderes. So wie dieser Lehrer aus Mosambik sich einbildet, was Besseres zu sein, weil er Bücher liest und Briefe schreibt. So einer wie der provoziert die anderen, es wird Ärger geben, das sagen ihm die heiligen Krokodile aus Yamfo. David hofft, daß sie ihn beschützen mögen trotz der Entfernung.
Der Pfarrer betet, während Bauer Hinrichs Scheune brennt. Der Pfarrer kann es nicht gewesen sein, soviel steht fest. Die Nachbarn stehen vor den verkohlten Resten einer Scheune und murmeln „Brandstiftung“. Hinrichs Sohn spricht aus, was sie alle denken, nämlich, daß es einer von denen war. Asylanten und Brandstifter, diese Verbindung drängt sich doch auf. Man spricht den Bauern darauf an, aber Hinrich, mit schwarzem, grimmigem Gesicht, stößt mit dem Stiefel in die Glut und wendet sich ab.
„Er sollte den Mietvertrag kündigen, der bringt ihm kein Glück“, sagt einer von den Gaffern laut genug für Hinrichs Ohren. Die Umstehenden nicken bedächtig, jeder weiß, welcher Mietvertrag gemeint ist. Der Hinrich spricht mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr, die mit Getöse anrückte, als es schon zu spät war. Jetzt werden Spuren gesichert, wie der Einsatzleiter dem Geschädigten erklärt. „Das sieht doch ein Blinder, daß es Brandstiftung war“, sagt Hinrich und blickt wütend in die Runde der Gaffer.
Ein paar Schritte weiter steht sein Sohn, zwei Söhne hat er, und der eine ist ein Trottel und der andere ein Idiot. Hinrich fragt sich, wo seine Söhne waren, als die Scheune zu brennen begann. Er wird sie sich später vornehmen, wenn die Gaffer weg sind. Jetzt hört er einen Sohn brüllen: „Das waren die Asylantenschweine. Jetzt machen wir sie alle, Leute. Die zünden hier nichts mehr an. Die Nicht ...“
Hinrichs Scheune liegt in Glut und Asche, und sein Sohn deutet mit einer Handbewegung die Marschrichtung an: die alte Schnapsfabrik. Die Masse der Gaffer teilt seinen Tatendrang, nur ein paar treten zurück, unauffällig, fast verlegen. Einige rufen: „Jawohl, das ist die einzige Sprache, die sie verstehen.“ Der Satz zündet, auch wenn sich noch niemand von der Stelle bewegt hat; alle sehen auf den jungen Hinrich, der neben seinem Bruder, dem Dorftrottel, steht, die geballte Faust gegen den Himmel gerichtet ... oder sind die Finger gestreckt? „Zahn um Zahn“, ruft er, diesen Satz versteht jeder in diesem Dorf.
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