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taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI: Stimme meiner Generation „Früher war alles besser!“

Ob beim Raven oder bei Oma auf der Couch. Immer erzählen die Menschen unserer Kolumnistin Ruth von vergangenen goldenen Zeiten. Was ist da los?

Sie weiß noch, was Techno wirklich mal war. Damals. Foto: ROBERTO PFEIL / AP

taz FUTURZWEI | Manchmal fühle ich mich in Berliner Clubs, als würde ich bei Oma auf der Couch sitzen. Es riecht nach Zigarettenrauch, und irgendwann sagt eine ältere Person mit Augenringen: „Früher war einfach alles besser.“ „Was meinst du?“, schreie ich gegen den Beat an (also im Club, nicht bei Oma). „Also, ihr nennt das hier Technoclub und wisst doch gar nicht, was Techno wirklich mal war. Damals.“

Damals. Damit sind die legendären 80er und 90er Jahre gemeint, in denen die halbe Stadt ein einziger illegaler Rave gewesen sei, erzählt die Augenringen-Frau neben mir. Als die Pillen geschluckt wurden, als wären sie Smarties. Okay, ganz so alt wie meine Oma ist sie nicht, ich schätze sie auf Anfang 50.

Sie nimmt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und fächelt sich Luft zu. Ich erinnere mich, irgendwo mal gelesen zu haben, es sei wissenschaftlich bewiesen, dass in Nostalgie zu schwelgen die gefühlte Körpertemperatur um bis zu vier Grad steigen lassen könne.

Ich merke, dass auch mir plötzlich wärmer wird und möchte schon anfangen, zu erzählen, dass diese Unbeschwertheit, der Kontrollverlust, der Spaß, ja die Freiheit so zu sein, wie ich möchte, auch jetzt noch Grund für mich seien, in Berlin auszugehen. Dass ich ja gerade deswegen in diese Stadt gezogen sei.

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Der „richtige“ Berliner Techno

Aber da fängt schon der überhitzte Begleiter der Alt-Raverin an, lauter DJ-Namen zu droppen, die ja so legendär seien und mir wirklich gar nichts sagen. „Wer den nicht gehört hat, der hat noch nie richtigen Berliner Techno gehört.“

Irgendwie weiß ich jetzt nicht mehr so richtig, ob ich mit in Nostalgie schwelgen soll, mich nach einer Zeit zurücksehnen, die ich selbst nie erlebt habe, oder mich entschuldigen, weil ich leider zwanzig Jahre zu spät geboren wurde und es trotzdem wage, in den Club zu gehen und Spaß zu haben.

Ich überlege mir, die zwei Alt-Raver zu fragen, ob sie damals eigentlich von alten Punks angesprochen wurden, wie viel besser die Szene in Berlin war, als die Musik noch von mittelmäßig geschrammten Saiten kam und nicht aus dem Sequenzer.

Stattdessen sage ich: „Meine Oma meint auch immer, dass früher alles besser war. Und das nehme ich auch ihr nicht ab.“ Aber niemand hört mir mehr zu. Die beiden sind mittlerweile dabei, sich gegenseitig mit mehr oder weniger spannenden Anekdoten zu überbieten.

Kurzfristiger Glückshormon-Rausch

Vermutlich vereint die beiden und meine Oma doch mehr als gedacht. Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass Nostalgie kurzfristig gegen depressive Verstimmungen helfen kann. Beim Gedanken an vergangene, vermeintlich goldene Zeiten, in denen die Betroffenen auch noch jung und voller Neugier waren, schüttet der Körper wohl irgendwelche Glückshormone aus. Und man fühlt sich kurz besser, auch wenn die Gegenwart mittlerweile so glanzlos erscheint. Ja, sich überfordernd schnell verändert.

Ich erinnere mich: Nostalgie ist eine Zusammensetzung zweier altgriechischer Wörter und bedeutet wörtlich übersetzt soviel wie Heimkehr-Schmerz. Damit wurde vor über dreihundert Jahren zunächst ein krank machendes Heimweh bezeichnet.

Heute bezeichnen wir damit eine Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, die vermeintlich besser waren. Kollektive Nostalgie gegen kollektive depressive Verstimmungen gibt es überall: Von meiner Oma, die davon schwärmt, wie man früher noch in jedem Lokal rauchen durfte, über die Technoleute, die von günstigen Eintrittspreisen und besseren Vibes erzählen, na ja, bis hin zu Politikern.

Die einen schwelgen in „Ostalgie“, die anderen verklären eine Epoche der deutschen Geschichte, die wohl wirklich niemand ein zweites Mal erleben möchte, oder?!. Wieder andere träumen von den „guten alten Zeiten“, in denen die Frau gerne am Herd stand und es der Wirtschaft noch gut ging. Und links von allen glaubt man weiter an die Kraft einer Arbeiterbewegung.

Selbst die, die sich „fortschrittlich“ nennen, halten an einer Schuldenbremse fest, die sowas von 2009 ist. (Ja, 2009 ist tatsächlich schon 15 Jahre her!) Und die anderen vermeintlich Progressiven rufen immer noch „Schwerter zu Pflugscharen“, während gefühlt der Rest der Welt am Aufrüsten ist.

Angst vor Wandel

Alle wollen sie nur zurück. Halten an längst Vergangenem fest. Als gäbe es nur noch die glorreiche Vergangenheit, in der man Lösungen für unsere Probleme finden könnte. Und als wäre der Peak allen Fortschritts und möglicher kultureller Entwicklung schon längst erreicht gewesen. Klingt für mich schon irgendwie nach krank machendem „Heimweh“.

Warum scheint es so schwer zu sein, der Gegenwart ins Auge zu blicken? Haben die wirklich alle solche Angst vor Veränderung, vor Wandel, Unsicherheit? Dass sie absichtlich verdrängen, dass dieses „Früher war alles besser“ nur eine Lüge unseres Gehirns ist, das eben gerne Erlebtes filtert und schöne Erinnerungen lieber abspeichert als schlechte? Und werde ich auch so werden, in ein paar Jahren, wenn ich merke, dass die jungen Jahre vorbei sind und nur noch die Erinnerung daran bleibt?!

Ich stocke. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich gerade etwas reinsteigere.

Die beiden alten Clubgänger sind inzwischen vor lauter wärmenden nostalgischen Gefühlen richtig ins Schwitzen gekommen. Er – rot angelaufen – redet ununterbrochen auf sie ein, während sie sich immer heftiger Luft zufächelt. Er ist jetzt bei den „neuen Generationen“ angekommen, die ja auch kaum mehr raven gehen, und dass die Clubs dadurch am Aussterben seien.

„Zeiten ändern sich halt“, sagt er dann resigniert, als hätte er rein gar nichts mit dem Ganzen zu tun. Beide schweigen.

„Ich habe leider keinen DeLorean für euch, mit dem ihr zurück in die Zukunft fahren könntet“, sage ich.

Die Oma-Raverin verwandelt selbst meinen subtilen Sarkasmus noch in Nostalgie und ruft begeistert: „Oh ja, geiler Film mit dem DeLorean. Waren einfach bessere Filme damals.“

Vielleicht hat sie ja Glück, denke ich mir nur, und es gibt „Zurück in die Zukunft“ bald mal wieder bei Netflix.