taz-Autor schlug zu: Ich spie das Feuer aus
Nach dem Tod von Dominik Brunner feierten ihn viele Medien als Helden - vielleicht zu Recht. Doch gibt es Gut und Böse bei einer Schlägerei? Meine Anwältin glaubte: Ja
"Keine Sorge. Da hilft Ihnen der Brunner-Bonus." Sagte meine Anwältin und auch, dass ich ein Held sei und dass der Richter "die aktuellen Ereignisse schon berücksichtigen" würde. Ich nickte und fühlte mich mies. Denn ein Held war ich nicht.
Es war in der S-Bahn passiert, Berlin Richtung Potsdam, im Spätherbst 2009. Es stiegen zwei Männer ein, beide um die 18, erfuhr ich später aus den Akten, bullig, laut, aggressiv, deutscher HipHop aus dem Handy. Der erste Satz: "Wenn du alleine Musik aufm Handy hörst, pisst dich jeder an. Zu zweit traut sich kein Arsch." Drohender Blick zu mir, ich lehnte neben ihnen an der Tür. Ich dachte: "Was für Loser. Zwei Möchtegerngangster aus der Vorstadt. Bescheuerte ausgewaschene Basecaps, bescheuerte ausgewaschene Hosen." Ich sagte nichts.
Aber in mir begann es zu brennen, als läge ein kleines feuriges Samenkorn in meinem Magen. Dann beleidigte einer der beiden eine Indiofrau mit Kind: "Ey, Mann, siehst du komisch aus." Sie stieg aus. Ich sagte nichts. Das brennende Samenkorn wuchs zu einem faustgroßen Stein.
Seit Dienstag wird in München über Markus S. und Sebastian L. zu Gericht gesessen, die mutmaßlich im September 2009 am S-Bahnhof München-Solln den Manager Dominik Brunner getötet haben.
Unklar ist, wer bei ihrer Auseinandersetzung zuerst zuschlug. Die Täter behaupten, Brunner sei es gewesen. Zeugenaussagen stützen laut einem Spiegel-Bericht von Anfang 2010 diese Darstellung.
Dann machten sie ein älteres Ehepaar an, das aussteigen wollte: "Hier gehts nicht raus, Arschloch." Das Ehepaar lächelte, stieg woanders aus, ich sagte nichts, mein Magen stand in Flammen.
Dann war ein Schüler dran, ein Schwarzer, denn sie "Schoko" nannten. Das Feuer war die Speiseröhre hochgewandert, ich fühlte es in der Kehle. Und ich sagte zum Dickeren der beiden: "Sag mal, du Penner, kannst du jetzt endlich mal die Schnauze halten."
Wir schubsten ein wenig. Schrien uns an. Und dann war es eigentlich vorbei. Wir guckten böse, wandten uns voneinander ab, dann - trat er noch einmal nach meinem Rucksack. Das war der Moment. Ich hätte einfach weggehen können, ihn noch mal anmotzen, irgendwas, mein Gott, es waren nur kraftmeiernde junge Männer, die einfach nicht zugeben wollten, dass ihnen ein einziger Typ Angst machte. Irgendwo in mir drin wusste ich das auch.
Doch in mir brannte es.
Vor mir sah ich nicht mehr nur die beiden Pseudogangster - ich erinnerte mich an andere Vollidioten, die Menschen in der S-Bahn anpöbelten, nicht immer griff ich ein, und dafür hasste ich mich, und dann war da der Mitbewohner meines Cousins, ein Lehrer, der ihn mitten in der Nacht verprügelte, weil er angeblich zu laut war, und diese ohnmächtige Wut danach, und mir kam diese Sache aus meinem Heimatdorf wieder hoch, wo ich mich mit 16 Jahren von einem Typen hatte vermöbeln lassen, weil ich einfach nicht zurückschlagen konnte. Doch dieses Mal nicht, jetzt würde es anders laufen. Man musste sich doch wehren. Ich spie das Feuer aus und rammte dem Dickeren die Faust in Gesicht.
An das absurde Ballett danach durch den Gang, über die Bänke kann ich mich zwar erinnern. Ich will aber nicht, es war Kontrollverlust, ich hätte das anders regeln können.
Ergebnis: Hodenquetschung, ausgerissene Haare, Schürfspuren bei mir. Schwere Rippenprellungen beim einen, gebrochene Nase beim anderen. Polizei auf dem Bahnsteig. Anzeige wegen Köperverletzung. Die Anwältin, die "Held" sagt und Freunde und Freundin, die das auch erst einmal tun.
Ich stelle mir vor, mich hätte es schwerer erwischt. Was die Zeitungen darüber geschrieben hätten: Zwei gegen einen. Die beiden aggressiv, vorher schon, laut Akten, in einer Disco pöbelnd aufgefallen. Welchen Zweifel hätte es da geben sollen, wer Schuld hat? Bei einem Kampf muss es Gut und Böse geben, gerade in den Medien. Nur: Die Wirklichkeit ist komplizierter.
*Der Autor ist Redakteur der taz, sein Verfahren ist inzwischen eingestellt. Er ist zu feige, diesen Text unter seinem Klarnamen zu schreiben, denn sollte er noch einmal in eine ähnliche Situation geraten, will er vor Gericht nicht damit konfrontiert werden.
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