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tamtürktür . . . blindmacher karpfen in urfa von BJÖRN BLASCHKE

Jeder hat seine Gründe, dieser Tage Karpfen zu essen. Oder auch nicht. Für mich ist der Karpfen kein leckerer Speisefisch. Der Grund ist der Grund: der Karpfen dümpelt in schlammigen Süßwasserteichen untrainiert vor sich hin. Daher fühlt sich sein Fleisch, das auf allzu vielen Gräten montiert ist, im Mund an wie Qualle de luxe und schmockt nach destilliertem Modder.

Diese Vorbehalte aus frühester Kindheit reiften zu einer Karpfen-Psychose, als ich vor einigen Jahren Urfa besuchte. Die südostanatolische Stadt gilt als Geburtsort Abrahams. Das ist für die Menschenkindheit genealogisch nicht unwesentlich, stellt aber Ichthyophobiker vor eine Zerreißprobe: Noch bevor nämlich unser Erzvatter auf Erden wandeln konnte, wäre er fast Opfer einer prähistorischen Herodesaktion geworden. Das hat Gott durch beherztes Eingreifen verhindert – zum Glück für die Menschen, aber auf Kosten schier unglaublicher Qualen für die Karpfenhasser unter ihnen . . .

Karpfen? Herodesaktion? Abraham? Ja, das besagt eine Legende, die immer wieder gern erzählt wird, zum Beispiel mir: Es war in jenem Sommer in Urfa. Ich spazierte am Fuße einer alten Kreuzfahrerzitadelle durch eine Grünanlage. In zwei Teichen, die inmitten dieser Oase vor sich hin gubbelten, meinte ich ungewöhnlich viele Fische ausmachen zu können; Karpfen, alle von wohlgenährter Statur, manche fast einen Meter lang. Bei einem alten Mann, der Fischfutter verkaufte, blieb ich stehen. Er asthmatisierte und seine Augen glupschten ganz so, als sei er selbst ein Kiementier, das schon viel zu lange auf dem Trockenen liegt. Für ein bisschen Geld erhielt ich von ihm eine Tüte Fischmampf – Kichererbsen und Salatblätter – und kam mit ihm ins Gespräch. Das Geschäft, so erzählte er, gehe ganz gut. Jeder wolle die Karpfen füttern, weil sie heilig seien. Gleich den Kühen in Indien oder den Tauben in Deutschland, aber mit anderen historischen Bezügen. „Aha“, entgegnete ich und verlangte mehr Informationen.

Der Fischfutterverkäufer quittierte mein Ansinnen mit einer Sage: es wurde dem Herrscher über Babylon, Nimrod, einmal prophezeit, dereinst komme einer, der nach seiner Ankunft die vielen Götter des Reiches stürzen werde. Rapzap ließ Nimrod seine schwangeren Untertaninnen zusammen- und ihnen dann die Kinder abtreiben. Eine Frau namens Zeliha entging den Häschern unter bisher ungeklärten, jedoch in anderen Umständen. Versteckt in einer Höhle, kam sie mit Abraham nieder und bemutterte ihn, bis er das Alter religiöser Mündigkeit erlangte. Alsbald versuchte der juvenile Besserwisser den Potentaten vom Monotheismus zu überzeugen, erst Kraft seiner Argumente, später Kraft eines Vorschlaghammers. Mit ihm hatte Abraham bereits in verschiedenen assyrischen Tempeln erheblichen Sachschaden angerichtet (nach Angaben der Behörden bestand für die Bevölkerung keine Gefahr!), als es Nimrods Sicherheitskräften gelang, ihn zu verhaften.

Die Rache Gottes war fischig. Wie Gott die Stadt Urfa mit Karpfen voll kippte, erfahren Sie morgen an dieser Stelle.

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