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szene

Foto: Stephen Shepherd/plainpicture

Von Susanne M. Riedel

Die Lichter an den Laternen, der Leierkastenmann an der Kreuzung, die Glühweinfahnen, die stramm im Wind wehen, lassen keinen Raum für Zweifel: Die Adventszeit hat begonnen.

Schlossstraße, Berufsverkehr, ein nieselgrauer Tag. O ich Fröhliche. Ich warte auf meinen Bus und stehe so schmal es mir möglich ist an der Bushaltestelle, während die mürrischen Massen im Stop-and-Go-Modus an mir vorbeischieben.

Zusammen mit mir wartet eine ältere Frau mit einem etwa zweijährigen Jungen an der Hand, vermutlich ihr Enkel. Gemeinsam betrachten und bestaunen die beiden in aller Seelenruhe erst die Muster der Gehsteigplatten, dann die bunten Bären und Gesichter auf der Fassade des Bierpinsels hoch über unseren Köpfen. Versunken wie sie sind, stehen sie dabei leider der besagten Menschenmenge mächtig im Weg. Und wie sie so ist, die Berliner Menge: Sie teilt sich nicht. Sie teilt sich mit.

„Platz da“, grummelt ein unwirscher älterer Mann, doch noch während er das ruft, ist er der alten Dame schon kräftig mit seinem Rollator in die Hacken gefahren. Erschrocken fährt sie herum. „Aua“, ruft sie, eher ungläubig als empört, und schnappt nach Luft, während er völlig ungerührt an ihr vorbeischiebt. „Knalltüte!“, brubbelt er noch in ihre Richtung.

Darauf sieht man im sanften Gesicht der alten Dame ein Unwetter aufziehen. „Selber Knalltüte!“, ruft sie ihm hinterher, um ein Vielfaches lauter, als ich es ihr zugetraut hätte, das Kind an ihrer Hand schaut fragend an ihr hoch. Der alte Mann bleibt stehen und dreht sich zu ihr um. „Blöde Kuh!“, ruft er nun ebenso energisch.

Da strahlt das kleine Kind seine Oma an, als hätte es nun alles begriffen. „Opa!“, ruft es begeistert, dann läuft es mit ausgebreiteten Armen auf den alten Mann zu und nimmt damit sämtlichen Menschen sämtlichen Wind aus sämtlichen Segeln. Susanne M. Riedel

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