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szeneDie erste Ampel in Deutschland

Eine Frau mit ihrem Kind sitzt mir in der U-Bahn gegenüber. Den Kinderwagen hat sie um die Ecke geparkt, und weil er den Leuten immer wieder im Weg steht, schiebt sie ihn von einer Seite zur nächsten. Sie seufzt und holt eine kleine Dose mit Keksen aus einer Tasche. Das Kind möchte keinen Keks. „Na gut, dann nehme ich mir zwei“, sagt die Frau, setzt sich und kaut nachdenklich.

Das Kind ist vielleicht vier oder fünf Jahre alt und trägt eine Hose mit Spiderman-Aufdruck und eine hellblau glitzernde Paillettenjacke, die so funkelt, dass ich dauernd hinsehen muss. So was hätten meine Kinder in dem Alter auch sehr schön gefunden.

Ich erinnere mich, dass meine Tochter mal von meiner Cousine eine lila Plüschtasche mit Glitzer geschenkt bekam, die von meinem Sohn neidisch beäugt wurde. Er redete schließlich so lange auf sie ein, bis sie ihm die Tasche irgendwann entnervt überließ. „Plüschie“ ging es gut bei meinem Sohn. Die Tasche wurde wie ein Haustier gestreichelt und überall hin ausgeführt.

Das Kind gegenüber fragt, ob sie noch in Berlin sind. Die Mutter nickt, sieht in ihr Handy, dann liest sie vor: „Also, die Ampel am Potsdamer Platz, die wir uns jetzt angucken, ist schon über 100 Jahre alt. Sie ist 1924 die erste Ampel in ganz Deutschland gewesen. Toll, oder?“ Das Kind nickt, als wisse es das schon. „Eine Turmampel“, sagt es berichtigend. Die Mutter nickt. „Verkehrsturm hieß es damals.“ Das Kind sieht die Mutter an, steht auf und stellt sich mit strengem Gesicht und einem nach oben gestreckten Arm mitten in den Weg.

Als am Spittelmarkt Leute ein- und aussteigen, regelt es den Verkehr mit den Armen wie bei der Verkehrspolizei. Seine Augen leuchten. Die Leute lächeln und bedanken sich für den freien Durchgang. Die Mutter sieht ihrem Kind beim Ausüben seines Hobbys zu und isst noch einen Keks. Isobel Markus

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