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Archiv-Artikel

studentenstreiks gehen an der realität vorbei Über den Hörsaal schauen

Der Spardruck des Haushaltsnotlagelandes Berlin erreicht wieder die Unis – und ruft streikende Studenten auf den Plan. Ihr gutes Recht ist, sich gegen schlechtere Lernbedingungen zu wehren und Erfahrungen mit sozialen Kämpfen zu sammeln. Aber sie sollten die Realität nicht aus den Augen verlieren.

Die Wirklichkeit: Das wirtschaftsschwache Berlin leistet sich drei Volluniversitäten, die rund ein Zwanzigstel des Gesamthaushaltes kosten. Die Unis sollen zusammen bis 2009 etwas mehr als 5 Prozent ihrer Budgets einsparen – angesichts der rigorosen Kürzungen im Sozial- und Arbeitsmarktbereich ist das sozialpolitisch vertretbar.

Denn die Kürzungen an den Unis treffen nicht die Armen: Sie zielen auf gut betuchte Professoren, Nachwuchswissenschaftler und mittelbar Studenten, die in der Regel nach dem Studium bessere Jobs kriegen als Kreuzberger Hauptschüler, denen die Jugendförderung gestrichen wurde. Von teuren Kindergärten und maroden Schulen ganz zu schweigen. Hier müsste Bildungspolitik ansetzen, wollte sie nicht weiter das privilegierte Bürgertum bevorzugen. Warum soll Berlin die superteure Ausbildung Tausender Medizinstudenten aus dem Bundesgebiet bezahlen, wenn es gleichzeitig die gesundheitspolitisch sinnvollen Subventionen für Bäder kürzt? Eine moderate Reduzierung des Studienangebots in Berlin ist weder eine unzumutbare Härte für Studenten noch eine Zerschlagung von Forschung und Wissenschaft.

Sicher, richtig wäre eine freie und umfassende Bildung für alle. Berlin kann sich das aber momentan nicht leisten. Dem Land sind ohnehin die Hände gebunden – bundespolitische Steuervorgaben, die Besserverdienende und Unternehmen auch auf Kosten von Ländern und Kommunen entlasten, kann es kaum verändern. Wer streikt, sollte auch über den Hörsaal hinausgucken.RICHARD ROTHER