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straßenhölle stuttgart von JÜRGEN ROTH

„Schlachte Stuttgart!“, raunt der Freund durchs Telefon. Dichter Dormagen rettete mich.

Es geht um Autos. Du entkommst ihnen nicht. Den Pkw-Buden. Den protzend prangenden Palästen der Mobilität; in denen sie stehen, die Automobile, gewichst, gewienert, bewedelt und bewacht, Fetische der Verrückten. In Stuttgart leben ausschließlich Verrückte. Stuttgart haben Verrückte, offensiv Wahnsinnige geplant, ersonnen. Nach Hitler schlug ihre Stunde. Lasst uns semmeln, knüppeln, beschlossen sie – und prügelten zwischen Hügel, ins drückend enge Tal: Straßen, große Straßen, weite Straßen, staubige Straßen, giftige Straßen. Der HErr weise Wege, den Weg bahnen wir.

Sie spinnen alle. Dein Wagen hat Schaden. Du schaffst es, im ostalbkreislastigen Hinterland gestartet, nach der Landeshauptstadt dich zu retten – und strandest an der Cannstatter Straße 46, an der BP. BP. Bitte pusten. Sie gucken, sie schauen. Sie kontrollieren dich. Bist du bei Trost, Verstand, bei Sinnen? „Kann ich mal telefonieren?“

„Des kost a Maak pro Einheit“, maschinengewehrt der Pächter. Er ist Stuttgarter. Er ist ein Arschloch. Er kann nicht anders. Er ist freundlicher als der „gelbe Engel“ des ADAC. Der hat die Flinte im Hintern. Es muss vorangehen. Keine Zeit. Er glaubt dir nicht. Sollen Menschen einander trauen? Nein. Stuttgarter sind keine Menschen. Stuttgarter sind Autoficker. Stuttgarter wichsen ihre Karossen. Sie haben einen schönen Zoo, die Wilhelma. Der interessiert sie nicht. Man kann an ihm vorbeifahren. Es gibt Straßen, fette Straßen. Die Cannstatter Straße z. B. Die bumst am Schlossgarten vorbei. Der Schlossgarten ist uncool. Der Schlossgarten ist wahrscheinlich schwul. Deshalb knattert und kracht man an ihm vorbei. Bäume, Wiesen, Sträucher sind totale Scheiße.

Der „gelbe Engel“, das schweflige Menetekel der Endzeit, flattert heran. Er schulterpackelt deinen schwachen Golf, an der BP, und gibt Gas. Gas geben, das liebt der Stuttgarter. Er rast, er rumpelt, er braust in den Schwenkrain 4. Eine liebliche Adresse. Da residiert ein Arschloch. Ein Stuttgarter. Er verlangt Unterschriften. Ein Unterschriftengebieter. Eine blöde Sau.

Dein Golf steht bei Hahn und Lang, Wangener Straße. Du hoffst, morgen zu entkommen. Sie müssen ihn reparieren. Du fährst herum, im ADAC-Mietwagen. Es ist Mist. Du umkurvst, nachts, das Tal. Viele Autobahnen. Tolle Autobahnen. Dichter Dormagen öffnet. Um neun erwachst du. Du bugsiert das Notvehikel zu den ADAC-Fickern, nimmst eine Bahn. Du hast zwei Stunden gebraucht. Stuttgart ist gut. Stuttgart ist gut organisiert. Viele Straßen. Viel Verkehr. Viel Autogeficke. Normale Menschen sagen: Stau dazu. Also Tram. Einstieg Eckardt, U 4. Wilhelmsplatz. Es wird noch hässlicher. Du erreichst Untertürkheim, du möchtest nicht aussteigen. Es ist zum Erbrechen ekelhaft.

Am Brendle (Großmarkt) holst du deinen Golf ab. Du bist krank. Du gehörst erschossen. Wie alle. Wie alle Stuttgarter. Man müsste Städte erschießen können. Stuttgart umbringen können. Einfach so.

Dichter Dormagen rettete mich. Er spendierte mir ein weiches, doppelt bezogenes, doppelt gepolstertes Bett, um drei Uhr nachts. Ich danke ihm. Ich schlief vier Stunden. Das verdanke ich Stuttgart.

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