strafplanet erde: wahrscheinliches und unwahrscheinliches von DIETRICH ZUR NEDDEN:
Manchmal stellt einem das Leben plötzlich die allerbanalsten Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und was machen wir zwischendurch? Morgens um halb neun WM gucken? Karten spielen? (Wer für Zeilengeld schreibt, sollte nicht auch noch zwischen den Zeilen schreiben, deshalb füge ich die Erläuterung in Klammern bei mit dem Marx oder wem zugeschriebenen Satz: „Das Schicksal mischt die Karten, spielen musst du?“) Oder Lotto?
Mit dem Lottospielen verknüpft sich einer meiner naivsten Tagträume, der es an Einfalt und kümmerlicher Größe mit jedem anderen aufnehmen kann: Was würde eigentlich passieren, wenn samstags und mittwochs niemand mehr an der Ziehung 6 aus 49 teilnähme? Ein Boykott quasi der gesamten Bevölkerung gegen die „versteinerten“ Verhältnisse oder so. „Nö, wir machen nicht mehr mit“, sagen die Bürgerinnen und Bürger, die sich zudem sämtlich weigern, als Publikumsstatisten bei den Talkshows, aber auch dem „ZDF-Sportstudio“ zur Verfügung zu stehen. So würde sich das Nicht-mehr-mitmachen in vielen Kategorien fort- und fortsetzen. Nicht nur der Lottoblock würde zittern, das gesamte System würde um ein Vielfaches stärker beben als damals, als die „ran“-Sendung abends um acht durch massenhafte Einschaltverweigerung gekippt wurde, weil die Bevölkerung zur „Wetten, dass …?“-Zeit eben das gucken will.
Umgekehrt würde ein Lottoverbot seitens des Staates eine Revolution auslösen, mindestens eine Revolte, und Bild würde das Kommando führen, ein eigenes Bilder-Lotto einführen und was nicht alles.
In Kuba ist das Glücksspiel verboten. Aber offenbar nicht mehr lange. „Die Kubaner sollen mit Hilfe aus Hannover Lotto spielen“, war neulich in der Zeitung zu lesen. Die Niedersächsische Toto-Lotto GmbH habe dem kubanischen Staat Pläne vorgelegt, wie man das noch illegale Wetten bei Hahnenkämpfen organisieren und kontrollieren könne. „Wenn man das Glücksspiel legalisiert“, ließ sich der Sprecher der Geschäftsführung zitieren, „könnte der Staat davon profitieren.“ Das habe er dem kubanischen Innenminister klar gemacht.
Zur Wahrscheinlichkeit, soll irgendwo bei Aristoteles stehen, gehöre auch, dass das Unwahrscheinliche eintritt. Und läge es in Zahlen ausgedrückt bei null Komma null eins Prozent. Er ahnte wohl kaum, dass sein vertrackter Satz Millionen von Lottotippern Trost spenden sollte. Aber Recht hatte der Platon-Schüler, denn jeder kennt ja jemanden, der jemanden kennt, dessen Cousin dritten Grades vom Blitz erschlagen worden ist. Ähnlich ist es mit dem Volltreffer im Lotto, der allerdings noch um einiges unwahrscheinlicher ist als der atmosphärische Stromschlag.
In Niedersachsen, das etwa 7,8 Millionen Einwohner hat, sind im vergangenen Jahr 26 Lottospieler zu Millionären geworden. Oder „wurden“, vollendete Vergangenheit? Weil sie ab in die Karibik sind und dort ihr Glück bei den Hahnenkämpfen versuchten, von den „Mafiabanden“ aber weidlich ausgenommen wurden? Unwahrscheinlich. Aber die Kugel rollt.
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