strafplanet erde: nikotinkauen mit rasselndem atem von DIETRICH ZUR NEDDEN:
„Abenteuer Menschlichkeit“ stand auf dem Plakat gegenüber dem Supermarkt. Auftraggeber ist das Deutsche Rote Kreuz. „Abenteuer Nichtrauchen“ las ich im Schaufenster einer Apotheke. Auftraggeber war eine Firma für Nikotin-Kaugummis. Das „Abenteuer Aufstehen“ muss ich selbst und allein angehen, mir gut zureden. Es verfängt nicht oft. Ich bin selten erfolgreich mit dem Versuch einer arg durchsichtigen Autosuggestion. Kunststück, denn seit langem schon lautet der etwa zweite oder fünfte Gedanke, dessen tieferer Weisheit ich Jahr für Jahr eindringlicher gewahr werde und der obendrein ein Zitat von was weiß ich wem ist: „Wenn du morgens aufwachst, und dir tut nichts weh, dann bist du tot.“
Ja, Schmerzen. Schreibtischtätigkeit, Rauchen, Trinken, wenig Schlaf – das kann einem Menschen jenseits der Dreißig zu schaffen machen (oder sind’s schon Vierzig?). Wenn es nur der klare, blitzsauber pochende Kopfschmerz wäre, dessen Ursache eindeutig zuzuordnen ist. Oder das scheppernde Hüsteln, das gelegentlich mit einem Auswurfflunken endet, den ich hier nicht näher beschreiben möchte. Nein, dazu gesellt sich seit einiger Zeit ein rauhes Pfeifen im letzten Drittel des Ausatmens, ein internes Schrabbeln, ein nestelndes Fiepsen. Dass es vom Rauchen kommt, stand endgültig fest, als ich einen Satz von Raymond Chandler wieder las: „Aus den Häusern kommen . . . verbrauchte Intellektuelle mit Raucherhusten und ohne Geld auf der Bank . . .“
Ich also zur Apotheke, was mich selbst am meisten überraschte, denn noch nie hatte ich ans Aufhören gedacht. „Diese Nikotin-Kaugummis, bitte.“ Die Apothekerin fragte: „Zwei Milligramm oder fünf?“ Das Beratungsgespräch klärte mich auf, dass ich mit meinen nicht mehr als 20 Zigaretten am Tag als „nicht so stark nikotinabhängig“ galt, also die niedrigere Dosierung verwenden könne.
Nun sind Nikotin-Kaugummis keine Kaugummis, jedenfalls macht die Packungsbeilage erheblichen Alarm, man solle die „Nicorette“ „nicht wie ein übliches Kaugummi kauen!“ Sondern muss sie einem eigens dafür entwickelten „Nicotin-Dosierungs-Indikator (NDI)“ entsprechend benutzen, der nichts anderes besagt, als dass man zwischendurch Pausen machen soll, damit das Nikotin nicht in zu hoher Konzentration die Mundschleimhaut passiert. Zwei Milligramm, das ist etwa die Menge, die in zwei Zigaretten steckt . . .
Der Flash war tatsächlich spürbar. Subkutan vibrierte der Körper, der Kopf schmolz ein bisschen, brachte es dann zu einem federnd leichten Schmerz, der sich wohlzufühlen schien. Im Gegensatz zu mir. Nach einer viertätigen Experimentierphase verstand ich, warum Werner Lorant Werbeträger für den Mitbewerber „Nicotinell“ ist und während der Spiele wild Kaugummi kaut und sich manchmal wie irre benimmt, wie ich, wie ein Kautabakjunkie aus einem B-Western.
„Die wahren Abenteuer sind im Kopf“, raunte, wenn ich mich nicht irre, André, der Heller, einst in den Siebzigerjahren. Und ich bin jetzt multipel abhängig: von Nikotinkaugummis und Zigaretten.
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