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Archiv-Artikel

strafplanet erde: mücken im blick von DIETRICH ZUR NEDDEN

Die Äuglein vor dem Weltgeschehen zu verschließen – Klappen runter, nüscht mehr sehen, das Treiben rundum? Mir doch schnuppe! –, ist eine simplifizierende, kindische Reaktion. Als gesellschaftlich vorbildhaftes, verantwortungsvolles Verhalten wird es im Allgemeinen nicht gewertet, es sei denn, der ordnungs-, nein naturgemäße Schlummer ist es, der die Augendeckel schließt. Manchmal ist einem trotzdem nach eskapistischen Eskapaden jener Art, zumal man das Gefühl nicht loswird, mehr als genug andere dösen mit offenen Augen, die nächsten haben Schablonen eingebaut irgendwo auf dem Streckenabschnitt zwischen Netzhaut und Hirn, und dementsprechend geformt ist ihre Welt- und Selbstbetrachtung.

Ganz beiläufig nahm ich als Kind eines Tages wahr, dass man etwas sieht, wenn man spaßeshalber die Augen mal für eine kurze Weile geschlossen hält. Ein Schweben, ein Gleiten frickeliger Fädchen und Fusseln, die wie auf einer Leinwand vor der Rückseite der Lider herumgeisterten. Verfolgte man die trickreichen Biester, bewegten sie sich mit, ruckartig beschleunigend manchmal, um gleich darauf geruhsam oder träge wieder herumzudümpeln, als ob sie mit dem Zuschauer ein bisschen Schabernack treiben wollten.

Weil die Vorführung selbstverständlich und praktisch jederzeit abrufbar war, irgendwann dann auch offenenen Auges, ging ich davon aus, dass jeder sie kennt. Es war unnötig und überflüssig, darüber zu sprechen. Und wo genau der körpereigene Projektor und die Projektionsfläche sich befanden – auf der Rückseite der Hornhaut, im Kammerwasser, im Innern der Linse oder des Glaskörpers – war nicht von geringstem Interesse.

Ein neues Licht, um wenn schon nicht bravourös, dann wenigstens brav im Bild zu bleiben, fiel auf die kleinteiligen optischen Phänomene, als ich sie in irgendeinem Roman beschrieben fand. Das Sonderbare war nicht, dass sie einen Namen haben, sondern welchen: Mouches volantes, fliegende Mücken, heißen sie, und ich beschloss sofort, ausschließlich die französische, bedeutend distinguierter klingende Version zu verwenden. Noch erstaunlicher aber war dann der Hinweis, dass angeblich keineswegs jeder Mensch dieser kurzfristig ablenkenden Attraktion teilhaftig werden kann. Die Mouches volantes sind, im klinischen Wörterbuch aufgeführt, schnöde Glaskörpertrübungen.

Gelegentlich streute ich diese sensationellen Informationen im Freundeskreis aus und erfuhr, dass diese Mückenart so selten nun auch wieder nicht fliegt. Eine Freundin fasst sie wie einen Bildschirmschoner auf, den sie ab und zu aktiviert; ein Bekannter, dessen Namen ich geflissentlich verschweige, hat im Internet erfahren (wo man bekanntlich Millionen trüber Quellen, die Millionen trübe Tassen speisen, finden kann), dass Mouches volantes leuchtende Indizien für ein selbstverständlich höher entwickeltes Bewusstsein wären und – „angereichert mit innerem Licht“ – dabei mithelfen, die Welt wenn schon vielleicht nicht umgehend zu retten, dann wenigstens zum Besseren zu verändern. Die These kann ich angesichts der Filme in meinem Kopf voll Suff und Kino nicht bestätigen.