strafplanet erde: lob des fehlers von DIETRICH ZUR NEDDEN :
Adventsbierkränzchen à deux: Als Nachbar T. ins Blümerant-Philosophische driftete, geriet das Gespräch in Schieflage. Die Reihenfolge ist keine Seltenheit, wenn wir beieinander hocken, entspricht vielleicht dem, was man Reiz-Reaktions-Schema nennt, wer weiß. Aber egal.
Überfallartig das harmlose Geplänkel verscheuchend hatte T. gesagt: „Eine auf Augenhöhe falsch programmierte Fehlerroutine führte in eine Endlos-Schleife, bis jemand auf die Euphoriebremse trat.“ – „Da sprichste was an“, gab ich zurück.
Gespannt zog er die Augenbrauen hoch. Ob ich noch mehr sagen würde? Da konnte er lange warten. Tat er aber nicht, sondern knabberte das letzte der ihm vorbehaltenen Plätzchen und wiederholte das Sätzchen.
Als die nächste Zichte glühte, verriet er das Geheimnis hinter dem Unsinn. In dem Satz, sagte er, steckten die ihm aktuell liebsten Hauptwortkompositionen: Augenhöhe, Fehlerroutine, Endlos-Schleife, Euphoriebremse. Die Augenhöhe und die Euphoriebremse habe er höchstselbst in einen aufgeschnappten Satz montiert.
Worauf er hinauswolle: Die Ansehnlichste im Quartett sei nach seinem Geschmack die Fehlerroutine, ein Begriff der Programmierer. „Hab ich so wenig Ahnung von wie du.“ – „Daran wird’s liegen, dass du …“ Interessierte ihn nicht. Das Zentrum fürs Begreifen weiträumig umfahrend, hatte die Fehlerroutine in seinem Sprachzentrum geparkt.
„Ich versteh das so: man erklärt das Fehlermachen zur Routine. Baut es gleich mit ein ins Programm. Das fand ich interessant.“ Daraufhin habe er eine Textdatei angelegt, worin er Äußerungen über die Kunst, Fehler zu machen, aufbewahre. O ha, dachte ich, ob das gut tut? Laut wandte ich ein, dass es billig sei, in Zeiten des Internets auf passende Zitate zu stoßen.
Er zog blank. „Wie findste das? ‚Erst wenn es zu spät ist, erkennt man, daß man nur eines niemals bereuen darf – seine Fehler.‘ Ist von Oscar Wilde.“ Genau das hatte ich gemeint. Wilde wird gern genommen, mit Goldrahmen oder ohne. Aber egal. Und war okay.
Dankbar hörte ich es an der Tür klingeln, Inga schaute vorbei, berichtete von den Sensationen bei dem Adventskaffeekränzchen eine Etage höher. Sendepause für T. Die er nutzte: „Bin gleich wieder da.“ Mit einer Aufmerksamkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, brachte er Nachschub für die Keksfront mit. Der kriegerische Vergleich widersprach meiner Langmut. Egal, er hatte einen Zettel dabei. „Also, das hier ist von Holger Czukay.“ – Ist das der von Can?“, fragte Inga, deren notorische Höflichkeit mir … aber egal. Thomas las wackelnd: „Ich habe oft den Eindruck, ich hätte mir etwas Geniales ausgedacht. Dann mache ich im Verlauf der Arbeit einen Fehler und stelle fest: Was ich gerade so genial fand, ist längst nicht so genial wie der Fehler, den ich gerade gemacht habe. Diese Erkenntnis hat mein Leben verändert.“
Fand ich auch okay, gestand das aber nicht ein, wollte nicht in einer Endlos-Schleife auf Augenhöhe um die Fehlerroutine kreisen und trat deshalb auf die Euphoriebremse. „Wenn zu perfekt, liebe Gott böse!“, raunte ich. Passt immer, erst recht zur Fehlerroutine jetzt und hier.