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strafplanet erde: intermezzo esotèrico im pinguin café von DIETRICH ZUR NEDDEN

Eine Zigarette und der Kaffee schmeckten. Mir gefiel die Musik. Sie erinnerte mich an eine Bar in Rom, wo ein Harmonium in der Ecke stand. Es machte den Eindruck, als möchte es mal von jemandem bemerkt und, wenn das nicht zu viel verlangt ist, gespielt werden. Eine welthaltige Kammermusik atmete durch das Café hier, halbakustische Klänge, die manchmal so taten, als forderten sie zum Tanz auf, aber mit einem Augenblinzeln, denn sie wussten ja, dass man viel lieber den ostinaten Drehungen und Wendungen diskret zuhören wollte. Fremd wirkte die Musik nur, weil man das Gefühl nicht loswurde, man habe ihr vor Ewigkeiten schon mal gelauscht. Imaginationsfolklore, die aus einem Telefonklingeln und einem Besetztzeichen ein magisches Loop schuf. Oder: der Sound von jemandem, den du liebst und der wirklich und endgültig weggeht; und dass dir das überhaupt nichts ausmacht, darüber ist niemand erstaunter als du.

Mister Jeffes, der Besitzer des Cafés, erzählte, wie er dazu gekommen sei, die Lokalität zu eröffnen. Er habe sich 1972 in Südfrankreich eine schwere Lebensmittelvergiftung eingehandelt, die ihn einen Tag lang fieberhaft halluzinieren ließ. Eine Vision habe ihn in eine Art Hotel gebeamt, wo ein elektronisches Auge alles, was in den Zimmern geschah, beobachtete. In einem habe sich ein Paar geliebt, aber lieblos; in einem andern habe jemand wie besessen in den Spiegel gestarrt. Im nächsten ein Musiker mit Kopfhörern vor dreistöckig geschichteten Synthesizern, also in völliger Stille. Ein trostloser Ort. Diese Menschen kreiselten in Schleifen um sich selbst. Nicht als ob sie Gefangene gewesen wären. Alle seien am Machen und Tun gewesen, aber ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Und das habe sie davon abgehalten, der Ordnung, die vom elektronischen Auge repräsentiert wurde, ein Ärgernis zu sein oder eine Herausforderung.

Einige Tage später habe er, Jeffes, am Strand ein Sonnenbad genommen, als der Anfang eines Gedichts ihm in den Sinn schoss: „Ich bin der Eigentümer des Pinguin Cafés, ich erzähle euch aufs Geratewohl Geschichten“ … So etwa. Es habe dann weiter davon gehandelt, welch eine kostbare Sache die Qualität des Zufälligen, der Überraschung, des Unerwarteten in unserm Leben sei. Und wenn man das ignoriere, um ein sauber geordnetes Leben zu führen, dann verliere man etwas Wichtiges aus den Augen. Hingegen im Penguin Cafe man das Ungeordnete und Namenlose akzeptiere … There is an acceptance there that has to do with living the present with no fear in ourselves.

Keine Angst, ich bin weder in die Fänge kosmologischer Esoteriker geraten (oder doch?), noch weiß ich, ob die Lebensmittelvergiftung von gewissen Pilzen herrührte. Außerdem – 1972, das waren echt andere Zeiten und die meisten Musiker haben ja sowieso einen Knall. Aber ich wollte endlich mal auf das Penguin Cafe Orchestra hinweisen, das wahrscheinlich zu den bekanntesten Geheimtipps zählt. Die 4-CD-Box „A History“, aus deren Beiheft die Geschichte von Simon Jeffes stammt, ist wundervoll.

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