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strafplanet erde: in der besserwisserei von DIETRICH ZUR NEDDEN

Es ist schon eine Weile her, dass ich zum Chef einer kleinen Besserwisserei ernannt wurde. Die Belegschaft – in dem Laden wird Mitbestimmung groß geschrieben – war ausnahmslos dafür. Gewiss, es ist ein undankbarer Job, zumal wenn er gegen die eigene Natur ist. Man muss sich verbiegen, klar, aber in den oberen Etagen gehört das dazu. Und man macht sich keine Freunde, wenn man sich nie irrt und an allem etwas auszusetzen hat. Wer mag schon Klugscheißer, Schulmeister, Beckmesser, Rechthaber, Nörgler, Rabulisten, Neunmalkluge? Manchmal hasse ich den Job, aber einer muss ihn ja machen.

Da sitze ich nun in meinem Chefzimmer von der Größe einer Fußballarena an meinem Mahagonischreibtisch mit Edelkastanien-Intarsien und weiß grundsätzlich eines: Bescheid. Auch wenn ich manchmal meine Prophezeiungen erst im Nachhinein abgebe, stellen sie sich immer als richtig heraus. Trefferquote: 100 Prozent. Kirch-Pleite? Stand vor Jahren schon fest, als sich der Verdacht bestätigte, die so genannten Entscheider wüssten nicht, dass eine Milliarde Mark tausendmal mehr ist als eine Million.

Was mich aber in den letzten Wochen am meisten beschäftigte, war der Tod des großen Billy Wilder und wie der Meister in den Zeitungen verabschiedet wurde. Hintenherum erfuhr ich, dass eine Zeitung gar keinen Nekrolog im Stehsatz hatte, wie es für bedeutende Persönlichkeiten eigentlich immer der Fall ist. Der Mann war 95, und sie hatten nichts vorbereitet. Eigentlich sympathisch, dachte ich in einem Moment unprofessioneller Nachsicht, denn das Versäumnis lässt sich als Ausdruck eines magischen Glaubens interpretieren, dass dieser einzigartige Regisseur quasi unsterblich ist.

Ein anderer Mann aus Wien, Alfred Polgar, schrieb einen Nachruf auf sich selbst: „Hochbetagt, friedevoll, unverheiratet und lebenssatt ist er gestorben, in den Armen seiner entzückenden jungen Freundin, deren Eifersucht ihn nicht abhalten konnte, aus seiner unerschöpflichen Zärtlichkeit auch an viele andere bezaubernde Frauen zu schenken, die nach ihm begehrten“, so beginnt Polgar seine bescheidene Eloge. „Wer den Hingeschiedenen an seinem 90. Geburtstag – es ist kaum ein paar Jahre her – bei dem Skispringen in Nordensholm gesehen hat, kann es gar nicht glauben, dass er nun schon auf der Bahre liegt!“

Die Nachrufe auf Billy Wilder habe ich nicht alle gelesen, sondern die meisten nur durchsucht. Und was alles fehlte! Dass erst 1980 das erste umfängliche Buch auf Deutsch über seine Filme erschienen ist; dass er bis 1970 mit wenigen Ausnahmen nur schwarzweiß gedreht hat, weil „alles zu bunt aussehen würde – wie Eiscreme“. Und vor allem vermisste ich die ausdrückliche Erwähnung eines seiner größten Meisterwerke „Avanti!“, die Geschichte einer Katharsis, wie man sie humaner, witziger, beiläufiger nicht erzählen kann. Wenn Sie sich jetzt den Film besorgen, hier noch ein zufällig herausgesuchtes Wilder-Zitat zum Mit-nach-draußen-Nehmen: „Cinemascope ist das ideale Format, um das Leben eines Dackels zu verfilmen.“

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