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Archiv-Artikel

strafplanet erde: frankreich brennt, deutschland indolent von DIETRICH ZUR NEDDEN

Entsinne ich mich recht, ist mir nach einem Sammelsurium zumute gewesen. Jaha, richtig, ein Sammelsurium sollte es werden. Kein Mischmasch, kein Durcheinander, sondern ein anständiges Sammelsurium. Nicht etwa mangels einer stringenten Geschichte, sondern einfach so. Es wurde nichts draus. Statt sofort ein Sammelsurium zu schnitzen, wollte der Scheingelehrte in mir wissen, was es damit auf sich hat.

Er fand heraus, dass ein Sammelsurium erstmals Mitte des 17. Jahrhunderts erwähnt, entdeckt, erfunden worden ist. Die Endung des Worts nennen Gelehrte eine scheingelehrte Endung – wie in Brimborium oder Lappalie –, angepfropft dem niederdeutschen sammelsur, ein „saures Gericht aus gesammelten Speiseresten“ oder auch „ekelhaftes Gemüse von verschiedenen Sachen“. Damit hat man den Salat, hähä, hat wieder was Nichtverwertbares gelernt und stürzt sich ins aktuelle Geschehen, das kaum einige Jahre zurückliegt.

Im Januar 1998, das ist so weit belegbar, hielt ich einen Satz aus dem Fernseh fest: „Manchmal wundert es mich, dass es in Deutschland so ruhig bleibt“, sagte eine Moderatorin nach dem Beitrag über ein Dorf in Brandenburg, das auf den unzureichend vorbereiteten Westzuschauer einen behutsam verheerenden Eindruck machte. Zugenagelte Geschäfte, leer gefegte Ställe, brachliegende Felder: Ödland mit chronisch erwerbslosen Menschen, hätte man die Bilder trotzdem ein Stillleben nennen können. Menschen, die sich in einer barackenartigen Kneipe versammelten, um dem Fernsehteam aus dem Westen zur Verfügung zu stehen. Sie sahen zehn, zwanzig Jahre älter aus, als sie waren, ohne dass man ihr Alter erfuhr. Selbst die Oetinger-Pils-Flaschen wirkten lethargisch.

Nicht faul, aber fantasiearm, wunderte ich mich anschließend, dass es in Deutschland so ruhig blieb, und strickte ein paar Girlanden dazu „… in diesen Zeiten der konvulsivischen Umwälzungen, der Verwüstungen und Debakel, der Unruhen und des Getümmels, der Zerrüttungen und Verschmelzungen und zerstreuten Erschütterungen, der erratischen Peripetien und Eruptionen, der wirbelnden Auflösung und kulminatorischen Turbulenzen, des trostlosen Fiaskos und der tückischen Qual.“

Ob das eine brauchbare Ergänzung des Beitrags war, nun ja … Eingefallen ist mir die Anekdote dieser Tage. Die Ereignisse in Frankreich nennen die einen Unruhen, manche nennen es Krawalle oder Proteste, egal wie, gemeinsam ist den Meldungen, den Härtegrad in brennenden Autos pro Nacht zu messen. Umgehend wurde geraunt und spekuliert, ob das denn in D. auch möglich wäre. Davon abgesehen bleibt es ruhig.

Aus irgendeinem Grund, vermutlich unpassenderweise, fielen mir die einstigen „Chaostage“ in der kleinen Großstadt H. ein. Sie genossen ein weltweites Medienecho, sodass in Brasilien lebende Freunde besorgt anriefen, ob die Stadt denn gänzlich in Schutt und Asche liege, wie es die Kamerabilder vermuten ließen.

Dass sie sich ändern, werden sich die Zeiten nie abgewöhnen, fragt sich bloß, wie und in welche Richtungen. Und die besten Prophezeiungen werden im Nachhinein formuliert. Und für ein anständiges Sammelsurium hat es schließlich auch gereicht.