stimmen von der straße : Woran glauben die Berliner?
Veränderungen hat die Steglitzerin Anna Luise Wächter, 74, einige in ihrem Leben erfahren. Als Kind hat sie den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt, später studiert und als Kartografin im gehobenen Dienst bei einer Bundesbehörde gearbeitet. Die sichere Beamtenstelle gab sie auf: „Das wurde mir alles zu eintönig. Ich habe daran geglaubt, dass es etwas anderes geben muss, was mich mehr ausfüllt.“ Sie studierte Sozialarbeit und war bis zu ihrem Renteneintritt in verschiedenen sozialen Einrichtungen tätig. Auch jetzt engagiert sie sich weiter und sammelt an der Gedächtniskirche für die Kindernothilfe. „Ich glaube an Gott und die Liebe und an die Kraft, die Veränderungen geben können.“
Thomas Feld ist gerade erst nach Berlin gezogen. Trotz prognostizierter Wirtschaftskrise ist der smarte Anlageberater, der noch bei Freunden in Friedrichshain wohnt, davon überzeugt, dass es bald wieder aufwärtsgeht. „Ich bin sicher, dass der Abschwung nur von kurzer Dauer sein wird. Ich glaube weiterhin an die Kräfte des freien Marktes.“ Die will der 30-Jährige mit dem geplanten Kauf einer Eigentumswohnung in Prenzlauer Berg selbst mit ankurbeln.
Helga Kuepers hat mit 46 Jahren noch einmal ein Studium im Fach „Public Health“ an der Charité aufgenommen. Ihren Beruf als Software-Beraterin übt die Kreuzbergerin nur noch in Teilzeit aus. „Das ist finanziell etwas schwierig, aber ich glaube an das Positive, das von Neuem ausgeht, sei es im privaten wie im beruflichen Bereich.“
Die Glaubensfrage hat für Peter Farber zunächst einen religiösen Hintergrund, weil er mit dem Katholizismus früh in Berührung kam. Der 55-jährige Buchhändler aus Weißensee ist in einer Kleinstadt aufgewachsen. „Ich bin damals stark von der katholischen Kirche beeinflusst worden.“ Heute glaubt er mehr an humanistische Werte. „Ich glaube an den gesunden Menschenverstand, an Bescheidenheit und an Fairness im Umgang mit anderen.“
Für die Muslimin Ayse Yarangunu, 36, ist die Antwort auf die Glaubensfrage eindeutig. „Ich glaube an Allah und die Werte, die der Islam vermittelt.“ Ansonsten kann sie mit der Frage wenig anfangen. Sie betreibt mit ihrem Mann von 6 Uhr morgens bis spätabends den Kiosk in der U-Bahn Altstadt Spandau. „Da komme ich nicht dazu, viel nachzudenken.“
Genauso geht es der gleichaltrigen Ilona Popova im „Check Point Curry“. Unablässig strömen die Arbeiter der umliegenden Baustellen zu ihrem kleinen Imbiss am Bahnhof Friedrichstraße und halten sie auf Trab. „Ne, an Liebe, Freundschaft und so etwas glaube ich nicht mehr. Ich glaube nur noch an das, was ich sehe!“ HENRY MATZKA
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