stefan kuzmany über Alltag: Das Miststück aus dem Briefkasten
Gelb ist die Karte, und sie kündet von der „Niederlegung eines Schriftstücks“. Und dann ist endgültig Schluss mit lustig
Post! Oh wunderbare Post! Briefe, von zarter Frauenhand mit blauer Tinte beschrieben, fein gewählte Worte, angereichert mit einem Hauch Parfum – Ah! Gebt mir Post. Gebt mir mehr Post. Genauer: Gebt mir mehr solche Post. Eigentlich aber: Gebt mir ein einziges Mal solche Post. Denn Fakt ist: Der Inhalt meines Briefkastens ist öde, so öde. Steckte nicht immer wieder diese wunderbare Zeitung darin, ich wollte ihn gar nicht mehr öffnen.
Wozu auch? Mit den Angeboten der lokalen Pizza-Versender bin ich bestens vertraut. Dass die Telekom mir regelmäßig eine Menge Kohle abbucht, wird durch die Lektüre eines Einzelverbindungsnachweises auch nicht angenehmer. Und Folgendes sei hier ein für alle Mal offiziell erklärt: Ich werde deine Liebe niemals erwidern, verehrte Gebühreneinzugszentrale. Ich weiß, du bist einsam. Aber wir passen einfach nicht zusammen. Gib es auf. Schreib mir bitte nicht mehr. Ich lese deine Briefe nicht, und wenn du noch so viele Smilies draufmalst.
Das alltägliche Altpapier. Kann man getrost sofort wegwerfen. Kein Grund zur Sorge. Und dann rief Frank an. Frank hat eine Wohnung in Berlin-Neukölln, und dort habe ich bis vor kurzem zur Untermiete gewohnt. Jetzt steht die Wohnung gerade leer, denn Frank wohnt in Straßburg und kommt nur ab und zu nach Berlin. Letzte Woche war er mal wieder da. Und fand Post für mich im Briefkasten: eine Benachrichtigungskarte für ein Einschreiben.
Ein Einschreiben. Was konnte das sein? Ein Scheck vielleicht? Hurra! Wir verabredeten uns in einem Café zur Kartenübergabe, plauderten über das Wetter hier und in Straßburg, über Le Pen und den 1. Mai. Und dann stellte sich heraus, dass Frank sich getäuscht hatte. Er zog eine gelbe Benachrichtigungskarte aus seiner Jacke. Der erste Schreck wurde bei genauer Lektüre zur bitteren Gewissheit: Kein Einschreiben wollte mich erreichen, sondern ein „Schriftstück“. Schriftstück! Das klingt so harmlos. Dabei ist die gelbe „Benachrichtigung über die Niederlegung eines Schriftstücks“ das größte Miststück, das man im Briefkasten vorfinden kann. Denn Schriftstück bedeutet blauer Brief. Bedeutet: Sie haben dich am Arsch. Bedeutet: kein Entkommen. Bedeutet: Das Amt, der Staat, die Macht will was und wird so schnell nicht lockerlassen. Der Briefkasten-Super-GAU.
Sich tot stellen? Geht nicht. Denn, das weiß ich aus meiner kurzen und unrühmlichen Karriere als Briefträger, ist das Schriftstück erst mal niedergelegt, gilt es als zugestellt, selbst wenn man sich niemals aufs Postamt begibt, um es abzuholen. Schrecklichste Rechtsfolgen treten unverzüglich, eventuell sogar die Polizei die Türe ein. Ich musste das Ding zur Kenntnis nehmen. Am liebsten hätte ich es sofort getan, aber das ging nicht. Denn auf der Karte stand zwar unmissverständlich, dass ich mich persönlich mit Personalausweis und Karte auf dem Postamt einzufinden habe – „heute jedoch nicht“. Und morgen war Feiertag.
Kein schöner Feiertag. Bei bestem Wetter verbrachte ich den ganzen Tag und die ganze Nacht damit, darüber zu grübeln, was ich wohl ausgefressen haben bzw. wer mir ans Leder wollen bzw. ob die Gebühreneinzugszentrale ihre krankhafte Zuneigung behördlich unterfüttert haben könnte. Hatte ich nicht alle Steuern immer brav bezahlt? Hatte ich nicht immer peinlich darauf geachtet, mich bei nichts erwischen zu lassen? Hatte ich nicht alle Spuren gründlich verwischt? Doch, doch, doch.
Unausgeschlafen und nervös näherte ich mich dem Schriftstücke-Ausgabeschalter der Postfiliale. Vor mir, hinter mir in der Schlange nur abgebrühte Gestalten. Niemand schien Angst zu haben. Die waren das gewöhnt. Ich gehöre nicht zu euch, wollte ich rufen, lasst mich gehen, das ist ein Irrtum. Aber ich tat es nicht. Das sagen sie alle, würden sie mir antworten, ich bin auch unschuldig, jaja. Dann würden sie schief grinsend um Knastbrüdereinverständnis buhlen. Aus. Ende. Vorbei. Der Nächste bitte.
Der Brief war blau, links oben stand ein Aktenzeichen, und als Absender stand darauf: Finanzamt Neukölln. Oh Gott. Ich riss ihn noch im Gehen auf. „Pfändungs- und Einziehungsbescheid“ stand ganz oben, und wenige Zeilen weiter unten stand auch ein Betrag: 10.000 €. Und dann: Erleichterung. Nicht ich schuldete Geld, stand da, sondern eine Frau Beate Schlicht. Und sollte ich ihr Geld schulden, dürfte ich es ihr nicht geben, sondern dem Finanzamt. Nichts lieber als das. Nur: Ich kenne keine Beate Schlicht. Ein Irrtum. Ich sang vergnügt: „Beate Schlicht, ich kenn dich nicht“, schlenderte ins Freie und beschloss, der armen Beate mal eine Postkarte zu schreiben.
Fragen zu Alltag?kolumne@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen