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Archiv-Artikel

staat und kirche Die Zeit der Hirtenbriefe

Thilo Sarrazin war der Erste. Im Tagesspiegel verfasste der Finanzsenator einen Hirtenbrief, der zwar vor Zahlen nur so strotzte, seine tiefere Botschaft aber nicht verleugnen konnte. Lasset uns sparsam sein, mahnte Sankt Sarrazin, und predigte fortan Wasser: „Berlin kann sich nur befreien, wenn die öffentlichen Ausgaben nachhaltig gesenkt werden.“

Kommentar von UWE RADA

Das konnte Georg Sterzinsky natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Gestern zog der Kardinal nach und verlas seinen Schäfchen den zweiten Hirtenbrief des Wochenendes. Er könne seine „große Besorgnis nicht verschweigen“, erklärte das katholische Kirchenoberhaupt der Hauptstadt und meinte damit die anstehenden Einschnitte im Erzbistum Berlin.

Wo bleibt da, könnte man angesichts des Hirtenbriefwochenendes fragen, die Trennung von Staat und Kirche? Doch im Ernst: Katholische Kirche und das Land Berlin hatten nach der Wende durchaus mehr gemeinsam, als ihnen vielleicht lieb war. Beide glaubten plötzlich an eine goldene Zukunft und ließen von diesem Glauben auch dann noch nicht ab, als im Klingelbeutel oder Stadtsäckel nur noch Knöpfe klapperten. Nun ist das Kind im Brunnen und aller Glaube richtet sich an die nächste Instanz: den Bund aus der weltlichen und die Westbistümer aus der kirchlichen Sicht.

Nur, die haben inzwischen auch kein Geld mehr. Vielleicht heißt es deshalb ja schon in einem gemeinsamen Hirtenbrief in der nächsten Woche: „Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, müssen wir schon selber tun.“