piwik no script img

Archiv-Artikel

spielplätze (18) Hase und Schisshase

Alle gucken Fußball. Nur Waltraud Schwab nicht. Bis zum Ende der WM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Auf dem Spielplatz in der Charlottenstraße in Kreuzberg

Furkan liegt einsam auf dem Kletterturm. Den Platz macht ihm niemand streitig. Es ist 17 Uhr. Ein Schuss in die Luft ist zu hören. „Deutschland“, ruft Furkan wie im Reflex oben von seinem Turm aus.

Wo sich sonst ein paar Dutzend Kinder mit ihren Müttern tummeln, behaupten er und vier weitere Kids ihren Platz. Drei Mädchen hopsen auf der dreiteiligen Gummiwippe. Springen die beiden auf den äußeren Plattformen hoch, fliegt die auf der mittleren Plattform, Chantal heißt sie, wie auf einem Trampolin in die Luft. Chantal ist die Kleinste der drei. Die beiden Großen legen es darauf an, sie zum Weinen zu bringen. Mit ihrem ganzen Gewicht lassen sie sich fallen. Je heftiger sie aufschlagen, desto zackiger fliegt Chantal hoch. Aber sie ist zu klein, um sich im Gleichgewicht zu halten. Sie fällt und weint. „Warum weinst du, ich hab doch gar nichts gemacht“, sagt eine der Springerinnen.

Hasan sitzt auf der Schaukel und schwingt vor sich hin. Wie Furkan wirkt er gedankenverloren. Der Spielplatz gehört heute ihnen. Nichts muss geteilt werden. Als ein Auto hupend vorbeifährt, ruft Furkan, das Turmkind, noch einmal „Deutschland“, sonst bleibt es ruhig.

Die beiden großen Mädchen spielen ihren Vorteil Chantal gegenüber hemmungslos aus. Sie schütten Limonade auf die Plattform der Kleinen und bedeuten ihr, dass sie nun besser die Gummimatte hochgehen könne, allein sie rutscht nur aus.

Plötzlich ein Schrei: „Furkan, stopp!“, brüllt Hasan und springt von der Schaukel ins Gras. Furkan hat ein Kaninchen entdeckt. Es ist noch jung. Hinter der Seilbahn kam es aus dem Gebüsch. Furkan schert sich nicht um Hasan, er läuft auf den Hasen zu. Der zieht sich zurück hinter eine Hecke. Hasan stoppt Furkan. „Du von rechts, ich von links“, bedeutet er ihm. Sie schleichen von ihren Seiten auf den Hasen zu, der sich unter einem Strauch versteckt hat und sich nun an den Jungs vorbei hinterm Turm ausruht, auf dem Furkan vorher lag. Die beiden pirschen sich erneut an das Tier, das sich, nicht faul, davonmacht, indem es den Kindern entgegenläuft. Beide rennen auf den Hasen zu und stolpern vor Schreck, als der einen Haken schlägt und an ihnen vorbei wieder hinter der Hecke verschwindet. Da dringt ein Aufschrei vom angrenzenden Wohnhaus über den Spielplatz – Tor für Argentinien. „Deutschland“, ruft Furkan. Den Moment nutzt das Kaninchen, um sich unter dem Zaun aufs Nachbargrundstück zu retten.

Jetzt entern zwei weitere Jungs den Spielplatz. Sie setzen sich auf die Bank unterm Baum mitten auf dem Spielplatz. „Wir haben Fußballerkarten“, sagt der eine, der Zacharias gerufen wird, bereitwillig und zeigt sie stolz. Sind die zum Angucken? „Nein, aber der Schisshase“, er zeigt auf seinen Freund, „hat Angst, damit in echt zu spielen.“ Beim nächsten Raunen aus dem Wohnhaus ruft Furkan „Deutschland“, Chantal aber weint. WALTRAUD SCHWAB