speichenbruch : Zu früh für Siege
Am Ostermontag kehrt Jan Ullrich erstmals an den Ort seiner Auferstehung zurück
Das war großes Kino, damals, vor einem Jahr. Jan Ullrich, zurückgekehrt von seiner Suche nach Lebenssinn, von Pilleneskapaden und Dopingsperre, enteilte dem Feld, überholte auf einer Rheinbrücke eine Straßenbahn, klatschte auf der Zielgeraden Zuschauer ab und gewann eines der traditionsreichsten Radrennen des Landes. Vollkommen untypisch für den einzigen deutschen Tour-de-France-Sieger war das – und von der Qualität plumper Hollywood-Dramaturgie. Zu dieser Jahreszeit siegt er üblicherweise nicht, da stehen schlicht Rennkilometer auf dem Trainingsplan; aber das ist wohl das Faszinierende an Ullrich: Seine Siege ereignen sich bisweilen ebenso unerwartet wie seine Niederlagen. Und ebenso spektakulär. „Was ich im Rennen draufhatte, war damals für mich nach den vielen Monaten ohne jeden Wettkampf wirklich ziemlich ungewiss. Als ich gemerkt habe, dass ich es noch kann, bin ich wie in einer Art Trance gefahren. Das war ein Klasse-Gefühl“, erinnert sich Ullrich.
Diesmal wird der Ex-Merdinger wohl kaum gewinnen, wenn er am Ostermontag zu seinem ersten Saisonauftritt auf heimischem Boden an den Ort seiner Auferstehung zurückkehrt. „Ich habe hier nach der Dopingsperre praktisch meine Wiedergeburt als Radprofi erlebt, jetzt schauen alle auf mich. So leicht wird es mir das Feld in diesem Jahr nicht noch mal machen, wegzukommen“, glaubt der 30-Jährige. Und dennoch wird es sein Tag werden. Denn die deutsche Radsportwelt dreht sich um seine Person, und da sich die meisten Spitzenfahrer tags zuvor bei Paris–Roubaix vom nordfranzösischen Kopfsteinpflaster durchrütteln lassen, schauen in Köln alle auf ihn. Und auf Erik Zabel natürlich, der eigentlich Osterurlaub auf Mallorca machen wollte, nun aber doch startet, was zeigt, wie wichtig dieses Rennen für die deutschen Mannschaften ist. Auch Gerolsteiner bietet mit dem früheren Sieger Peter Wrolich (Österreich) sowie Danilo Hondo, Thorsten Schmidt und Thomas Ziegler gleich vier Favoriten auf.
Dennoch leidet das neben „Rund um den Henninger-Turm“ und den „HEW Cyclassics“ wichtigste Eintagesrennen Deutschlands Jahr für Jahr darunter, dass es am Ostermontag und somit einen Tag nach einem Weltcuprennen stattfindet. Artur Tabat, der Mann, der das Rennen seit über 30 Jahren am Leben hält, hofft nun, „von der Revolution zu profitieren, die dem Radsport bevorsteht“. Ab der kommenden Saison wird es die „Pro Tour“ geben, eine Rennserie aus etwa 30 Rennen. Diese wird eine Gesamtwertung haben und Weltcup sowie Weltrangliste ablösen. Die Details werden derzeit ausgeklügelt.
Neben der „Deutschland Tour“ rechnen sich die großen deutschen Eintagesrennen Chancen aus, doch nur zwei der drei dürften es schaffen, in die „Pro Tour“ aufgenommen zu werden. Umso wichtiger für die Kölner, dass Ullrich und sein Team T-Mobile das Rennen mit ihrem Glanz versehen. T-Mobile-Sportdirektor Mario Kummer sagt deshalb, dass die am Freitag zu Ende gegangene „Sarthe-Rundfahrt“ vorwiegend dazu diene, „das Team auf ‚Rund um Köln‘ vorzubereiten. Dort wollen wir ein Wörtchen mitreden, wenngleich das Rennen für Jan noch zu früh kommt, um es erneut zu gewinnen.“
Für den Star steht natürlich die Tour de France im Mittelpunkt, und wie es sich für ein verkaufsträchtiges Drehbuch gehört, schlägt er sich auch diesmal mit irgendwelchen Problemen herum. Das Knie ist gesund, Gewicht und Trainingszustand stimmen, sein Team leidet nicht an akuter Geldnot, dafür stört der bittere Streit zwischen Ullrichs Vertrautem Rudy Pevenage und T-Mobile-Chef Walter Godefroot. „Für mich ist es nicht toll, dass Rudy nicht mehr ins Wohnmobil darf und nicht im Auto hinterherfahren und Anweisungen geben kann“, sagt Ullrich. Er hatte wohl gehofft, dass sich der Konflikt mit der Zeit von alleine regelt, jetzt bemühen sich gar Manager des Sponsors um eine Lösung. So ist das mit Jan Ullrich, und irgendwie ist er wohl auch deshalb einfach aufregender als der erfolgreichere Erik Zabel.
DANIEL THEWELEIT