speichenbruch: In Katar starten Jan Ullrich und Kollegen in die Saison
Dromedar stoppt Peloton
Das Konzept von der Wüste als prinzipiell lebens- und somit auch ausdauersportfeindlicher Raum muss wohl überdacht werden. Die Kamele im arabischen Emirat Katar jedenfalls wissen seit dieser Woche, dass es nicht nur Menschen auf vier Rädern gibt, die schneller sein können als sie selbst. „Es ist gar nicht so heiß hier, wie man sich das vorstellt“, notierte Thorsten Wilhelms, Neuzugang beim Essener Team Coast, leicht verblüfft in seinem Internet-Tagebuch via Radsport-News. Temperaturen um die 25 Grad, blauer Himmel und breite Prachtstraßen böten gar „ideale Bedingungen zum Radfahren“.
So ideal, dass der 33-jährige Sprinter aus Hannover am Mittwoch prompt die dritte Etappe der neu installierten Katar-Rundfahrt im Spurt gewann und nach seinem gestrigen dritten Platz gute Chancen hat, das silberne Trikot des Punktbesten bis ins heutige Finale zu behaupten. In der Gesamtwertung liegt Wilhelms, der seine Karriere schon für sechs Jahre beendet hatte, nur eine Sekunde hinter Damien Nazon (Frankreich) auf dem zweiten Rang. Beim Überstreifen des Siegertrikots auf dem Podium hatten die üblichen Hostessen geholfen. „Gar nicht verschleiert oder so“, sondern „ganz normal angezogen, Blazer, Rock“, seien die gewesen, gab Wilhelms, nach seinem Etappensieg in der Gesamtwertung zwei Sekunden hinter dem brasilianischen Spitzenreiter Pagliarini Vierter, erleichtert zu Protokoll. Überhaupt sehe man in der Hauptstadt Doha „viele Frauen, die westlich gekleidet sind“.
Doch manches ist schon anders im kleinen 400.000-Einwohner-Reich von Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani. Da rollen die Profis neben der Kamelrennbahn über dicke Perserteppiche zum Start. Und weil Zuschauer Mangelware sind, legen mal eben die Musiker der Militärkapelle ihre Instrumente aus der Hand, um wenigstens für ein bisschen Beifall zu sorgen. Verschont von Autogrammjägern und Doping-Gerüchten, posiert Jan Ullrich lässig mit Jagdfalken und beim Säbelkampf. Eine „angenehme Abwechslung“, so der Telekom-Topmann, sei der früheste Saisoneinstand seiner Karriere. Auch wenn es schon „merkwürdig“ sei, „für eine Hand voll Scheichs auf der Ehrentribüne ein Rennen zu fahren“. Damit die Form nicht leidet, sondern kommt, spulen Ullrich und seine Teamkollegen vor den Etappenstarts sogar noch bis zu zwei Stunden Training runter. Neben dem zweifachen Zeitfahr-Weltmeister rollen sich in Katar auch Laurent Jalabert und Frank Vandenbroucke, der „schwierige“ Belgier beim zigsten Comebackversuch, für die Saison ein.
Neben einem ordentlichen Startgeld und dem exotischen Ambiente lockten die Velo-Prominenz auch wertvolle Weltranglistenpunkte, die dem sportlichen Wert der Veranstaltung nicht unbedingt entsprechen. Denn die fünf völlig berg- ja fast hügelfreien Etappen über ingesamt 675 Kilometer mit Ziel jeweils in Doha wurden vom Radweltverband UCI gleich in die Kategorie 2.3 gehievt. Zum Vergleich: Die ungleich anspruchsvollere Deutschlandtour brauchte drei Jahre, um diesen Status zu erlangen. Die Wüstentour ist halt das Ergebnis einer freundlichen Interessenkoalition. Katar, das in der UCI-Rangliste nicht mal vertreten ist, sucht Erfahrung mit größeren Sport-Events im Hinblick auf die Asienspiele, die dort 2006 stattfinden sollen. Die kleine Katar-Schleife wird sogar täglich in voller Länge im Fernsehen übertragen, was zweifellos Kommentatoren mit Stehvermögen erfordert.
Die Société du Tour de France als Organisator auf der anderen Seite strebt trotz gescheiterter Bemühungen etwa in China weiter nach Internationalisierung und will dabei, so Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc, „das Image der Tour de France exportieren“. Welches Image hat er lieber nicht genau definiert. Der Anruf aus Doha kam also gerade recht, zumal mit Eddy „Kannibale“ Merckx gleich die Radsportlegende schlechthin den Mittelsmann gab. Zudem, hat Leblanc erkannt, gebe es „eine Nachfrage nach Rennen im Januar“. Die Profis steigen bei gestiegenem Konkurrenzdruck immer früher ins Training ein – oder machen wie Dauerturbo Erik Zabel erst gar keine nennenswerte Pause mehr. Die Zeiten, da man im Frühling bei kleinen Rundfahrten in Spanien locker in die Saison starten konnte, sind vorbei.
Da nehmen die Profis die First-Class-Behandlung bei einer bestenfalls drittklassigen Rundfahrt doch gern in Anspruch – und auf dem ewigen Weg nach Doha auch mal ein paar ungewohnte Hindernisse in Kauf. Gleich auf der ersten Etappe musste das Peloton kräftig in die Bremsen greifen, weil plötzlich ein Dromedar mitten auf der Straße stand. Nur gut, dass die Jury für solche Fälle schon vorgesorgt hatte. Kamele, heißt es im frisch frisierten Reglement für die Wüste, werden „wie geschlossene Bahnschranken“ behandelt. Was wohl die Kamele dazu sagen würden? JÖRG FEYER
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