sozialamtsmitarbeiter vor gericht : Unbürokratische Hilfe
„Ich habe das aus Mitleid gemacht, weil Frau O. keine Leistungen bekam, aber eigentlich bedürftig war.“ Mit diesem Satz erklärt Lutz B., ein ehemaliger Sachbearbeiter im Sozialamt Neukölln, seine Taten. 39-fache Untreue und dreimaligen Computerbetrug wirft ihm die Anklage vor. Am Ende verurteilt das Amtsgericht den 47-Jährigen wegen 15-facher Untreue und Computerbetruges zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Die 64-jährige Consuela O., die er einst bemitleidete, wurde wegen Anstiftung zur Untreue und zum Computerbetrug zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Im Herbst 1998 zog die Rentnerin, die einen Gesellenbrief als Malerin hat, von Neukölln nach Reinickendorf, weil sie dort eine Wohnung gefunden hatte, die sie gleichzeitig als Atelier nutzen konnte. Doch die Wohnung hatte elf Quadratmeter zu viel für eine Sozialhilfeempfängerin. Sechs Monate zahlte das Bezirksamt Reinickendorf noch die Sozialhilfe, forderte sie jedoch auf, sich eine billigere Wohnung zu suchen. Als O. dies nicht tat, stellte das Amt die Zahlungen ein.
In ihrer Not wandte sie sich an ihren früheren Sachbearbeiter in Neukölln. Lutz B. riet ihr, vor dem Sozialgericht zu klagen. „Dann habe ich leider fälschlicherweise …“ Nach diesem unvollendeten Satz schildert der grauhaarige Mann, wie er den Fall O. 2000 in die eigenen Hände nahm: Er bat die Frau, ihre Unterlagen an seine Privatadresse zu schicken. Daraus errechnete er ihren Bedarf, den er O. dann auszahlte.
Persönlich bereichert habe er sich nicht. Das bestätigte eine Hausdurchsuchung, bei der man nur ein von O. gemaltes Bild und ein von ihr erstelltes Horoskop bei ihm fand. „Hat sie Ihnen prophezeit, dass Sie Ihren Job verlieren werden?“, fragt der Richter den Angeklagten. Der verneint.
Mehr als drei Jahre lang verfuhr der gelernte Diplomverwaltungswirt so mit dem Fall O., bis seine Gruppenleiterin im September 2003 die ungerechtfertigten Zahlungen entdeckte und B. die Schreibrechte für das Computersystem des Sozialamts entzog. Doch auch das bremste ihn nicht. Vor Gericht bezeichnet er es als „Blackout“-Handlung, als er über die Kennung einer Kollegin den Fall O. erneut öffnete und drei weitere Zahlungen veranlasste. Dann wurde der Beamte vom Dienst suspendiert.
Dabei hatte er mit seiner Einschätzung von O.s Bedürftigkeit durchaus recht: Das Bezirksamt Reinickendorf hätte ihre Miete zumindest anteilig übernehmen müssen. So steht es in einem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 1998. Doch das kannte der zuständige Bearbeiter des Reinickendorfer Sozialamtes selbst bis zum gestrigen Dienstag noch nicht.
Für ihn ist jedoch klar, dass der Sozialhilfeantrag von O. „nicht auf der formellen, sondern auf der privaten Schiene lief“. Sonst hätte es auch eine Akte „Consuela O.“ geben müssen. Deshalb machte sich die Frau in den Augen des Gerichts auch der Beihilfe schuldig. Da die Sozialhilfe sowohl für Neukölln als auch für Reinickendorf aus dem Haushalt des Landes gezahlt wird, vernachlässigte das Gericht die Tatsache der örtlichen Nichtzuständigkeit und stellte 24 der ursprünglich angeklagten Untreue-Fälle ein. Lutz B. wird lediglich für 15 Fälle von Überzahlung bestraft – insgesamt verrechnete er sich um rund 5.000 Euro. Diese Taten allein hätten ihn aber noch nicht den Job gekostet. Erst weil er sich über seine Vorgesetzte hinwegsetzte und trotz gesperrten Zugangs weiter überwies, kann er seine Beamtenstellung nicht behalten.
UTA FALCK-EISENHARDT