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Archiv-Artikel

seitenblicke auf den us-wahlkampf O Schreck! Jetzt ist Barack Obama auch noch ein Sozialist

Die Angst vor allem, was „unamerikanisch“ ist, sitzt tief. Auch Joe der Kaffeehausbesitzer fühlt sich hinter seiner Düne im kalifornischen Los Angeles nicht mehr sicher „vor den Dingen, die da kommen“. „Es werden nach der Wahl große Veränderungen heranbrechen“, unkt er, während er einen Caffè Latte fertig braut.

Hier, in diesem sonnenverwöhnten Strandvorort Santa Monica, wo noch Ende Oktober im Bikini gejoggt wird, ist der liberale US-Geist zu Hause. Und doch treibt den Besitzer des Cafés Victoria die Angst vor dem Umsturz um. „Obama will den Sozialismus einführen“, sagt der Mann und drückt umso fürsorglicher den Deckel meines Kaffeebechers zum Mitnehmen fest. Die Samen der Angst, die der republikanische Kandidat John McCain seit Tagen durch den Äther jagt, sind hier am Ocean Drive also auf fruchtbaren Boden gefallen.

Als ich dem Mann sage, dass ich aus Europa komme und in Barack Obamas Programm auch nicht ansatzweise etwas entdecken kann, was unserem Sozialismus ähnelt, schüttelt er den Kopf. „Obama will den Reichtum umverteilen“, sagt er entschieden, und schaut mich misstrauisch an, so als sei ich bereits die Plage, die er erwartet.

Schuld ist Joe, der Klempner. Den führt John McCain nun bei jeder seiner Reden an. Der echte Joe hatte am Rande einer Wahlveranstaltung Mitte Oktober in Ohio kurz mit Obama gesprochen. Er wollte wissen, ob für ihn als Kleinunternehmer mit Obamas Plan die Steuern steigen würden. Im Laufe des kurzen Dialogs erklärte ihm Obama, dass es für Joe und die Mittelschicht insgesamt gut sei, wenn die Besserverdienenden etwas von ihrem Geld in Form von höheren Steuern abgäben. Man müsse „den Reichtum ein bisschen verteilen“, hatte der demokratische Präsidentschaftskandidat erklärt.

Dieser Satz, von einem Mikrofon des konservativen Fernsehsenders Fox aufgeschnappt, nutzt das durch Verlustängste aufgeputschte McCain-Lager nun als letztes, nukleares Geschoss. In schneller Reihenfolge waren zuvor die Schreckensszenarien eines Angriffs aus Kuba, Obama als Terroristenfreund, Obama als unamerikanisch und Obama als Kriminellen- und Junkieversteher gefloppt.

Nun also, die letzte Chance: Obama als Sozialist. Er will doch glatt eine bezahlbare Krankenversicherung für alle einführen! Keine Chance, Obama! Hier im Café Victoria am Ocean Drive ist man bereit: „Lieber mache ich den Laden dicht!“

ADRIENNE WOLTERSDORF