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Archiv-Artikel

schwabinger krawall: eisiges risiko von MICHAEL SAILER

Seit Herrn Hammler ein Eiszapfen von der Größe eines gentechnisch optimierten Import-Radi auf den Kopf gefallen ist und ihm eine ziemliche Schramme und eine leichte Gehirnerschütterung zugefügt hat, war er nicht mehr aus dem Haus. Das sei lebensgefährlich und erst dann wieder zu verantworten, wenn er herausgefunden habe, wer für den entstandenen Schaden an Leib und Leben aufkomme. Nun sitzt er die meiste Zeit am Küchentisch, von wo aus er einen günstigen Blick auf die gegenüberliegende Dachrinne hat.

„Das ist vielleicht ein Bolide! Der hält nicht mehr lang, und dann – Sakrament!“, sagt er begeistert zu seiner Frau. Ob er nicht wenigstens einen Spaziergang machen wolle, fragt sie. Er sei ja nicht von allen guten Geistern verlassen, entgegnet Herr Hammler, weil … – er unterbricht sich, als draußen ein lauter Schrei ertönt, öffnet das Fenster, starrt eine Weile hinunter und teilt mit, er habe es sich überlegt und werde doch etwas frische Luft schnappen …

Als er mit vorsichtigen Schritten die letzte Biegung des glitschigen Treppenhauses nimmt, öffnet sich die Haustür, und zwei Männer tragen Herrn Reithofer herein, der stöhnt und sehr schmutzig ist. Ob er den Herrn kenne, fragt einer der Männer und zeigt Herrn Hammler ein Stück Pappendeckel, auf dem steht: „Obacht Dachlerfine!“ Herr Hammler erfährt, dass Herr Reithofer zwei Häuser weiter auf dem Pappendeckel ausgerutscht sei, worauf es ihn dermaßen hingehaut habe, dass mindestens mit einer Steißbeinprellung gerechnet werden müsse. Das dürfe er sich nicht gefallen lassen, schärft Herr Hammler dem schmerzverzerrten Herrn Reithofer ein. Er müsse den Verwalter des Unglückshauses verklagen, weil der für die Beseitigung von Dachlawinen zu sorgen und in deutscher Sprache zu warnen habe. Und dann strenge man am besten gleich eine Sammelklage gegen die Stadt München an, weil die nicht dafür sorge, dass genug Kies gestreut werde.

Er, stöhnt Herr Reithofer, wolle bloß seine Ruhe. Schließlich habe er noch Glück gehabt im Vergleich zu seinem Kollegen Gerb, den es letzte Woche in eine vom Regen herabgewaschene Plakatwand hineingeschmissen habe. Dabei habe er sich dermaßen mit Leim eingeschmiert, dass es ihm erst nach Stunden gelungen sei, sich wieder zu erheben. Auf dem Heimweg habe ihn dann noch ein Kind mit seinem Schlitten erwischt und ihm Schien- und Jochbein gebrochen.

„Ein klassischer Fall von Dritt- bzw. Vierthaftung“, stellt Herr Hammler fest, und lange nicht so schlimm wie die Geschichte mit seinem Schwager, dem vor 14 Tagen beim Holzhacken die Axtschneide vom Stiel geflogen sei und ihn aufgrund eines unglücklichen Abprallwinkels am Kellergewölbe so heftig an der Schulter verletzt habe, dass er sich eine Gasheizung habe einbauen lassen müssen. Der könne selbst für die gestiegenen Heizkosten aufkommen. Oder erfrieren.

Ach ja, seufzt Herr Reithofer. Es sei eben der Winter eine riskante Zeit, aber entfliehen könne man ihm nicht, außer man mache fünf Monate Urlaub auf den Malediven. „Und dann“, sagt Herr Hammler, „können Sie immer noch mit dem Flugzeug abstürzen oder beim Tauchen ertrinken. Bis Sie da Ihr Geld wiederhaben, vergehen Jahre!“