schurians runde welten : Eurythmie auf dem Platz
„Ich bin gerne einer von elf Spielern, von mir aus auch Ersatzspieler. Aber ich möchte kein Zuschauer sein.“ (Jassir Arafat)
Den Revolutionär meines Lebens traf ich im integrierten Proseminar. Er trug Vollbart, war 15 Jahre hagerer. Sein Studium hatte er wieder aufgenommen, um sich eine Festanstellung an einer Waldorf-Schule im Ruhrgebiet zu sichern. In der Turniermannschaft meines Seminars spielte H. letzter Mann – der Funkel-Verteidiger brüllte ohne Stutzen und Schienbeinschutz laut über den Patz. Früher spielte ich gerne mit Abwehrdirigenten zusammen, die einem das Denken und Handeln abnahmen. Nach dem Abpfiff war der Revolutionär ein lustiger Mann, trotz seiner übermenschlichen Vision: An seiner Waldorfschule hatte H. eine Fußballmannschaft gegründet.
Warum Anthroposophen ein Fußballverbot verhängt haben, ist eher mysteriös: Bei Englandreisen bestaunte Gründervater Rudolf Steiner noch die Bedeutung des Fußballs – „die Leute interessieren sich heute für diese Dinge, die nach und nach den physischen Leib wegziehen“. Warnen wollte er nur vor übertriebener Sporttätigkeit, dem „praktischen Darwinismus“, der den Menschen wieder zum Tier mache. Für den Fußballausschluss sorgte ein anderer: Rudolf Kirschnick nannte es „Das Totenkopfspiel“, zitierte uralte Mythen, nachdem mit den Schädeln von Gefallenen gespielt wurde. An Reformschulen habe diese niederträchtige Treiben nichts verloren.
Seitdem mussten Anthroposophen Haken schlagen, um sich auszutoben; und also sind sie gut im Orientierungslauf und dem reformerotischen Bewegungstanz namens Eurythmie.
14.11. Duisburg – Cottbus
Habe den Umstürzler aus den Augen verloren, höre dann und wann von einer Waldorf-Mannschaft und vermute H. dahinter. Der hatte übrigens einen Vorgänger: Waldorfschüler Klaus Wunder gewann mit Bayern München den Weltpokal, spielte bei Werder Bremen und zwischen 1971 und 1974 beim MSV Duisburg. Zu den 32 Toren gelang ihm ein recht unantroposophischer Rekord: Der Stürmer kassierte in vier aufeinander folgenden Pflichtspielen zwei rote Karten.
CHRISTOPH SCHURIAN