schurians runde welten : Das ist die perfekte S-Bahn
„Ich bin allerdings überzeugt, dass ich das Schiff wieder auf Kurs gebracht hätte. Ich hätte nie aufgegeben.“ (Hanspeter Latour)
Dass unser Volk älter wird und schrumpft, bis es schließlich ganz verschwunden ist – mich tröstet das. Immerhin können wir Zeitgenossen uns daran erfreuen, erst dem Untergang der DDR beigewohnt zu haben und dann auch noch dem Ende Gesamtdeutschlands. Auch sportlich ist die germanische Geriatrisierung ein Segen. Denn Vergreisung schadet dem Trendsport.
Irgendwann in den Siebzigern, als sie mit der Studentenbewegung durch waren, begannen einige Langhaarige damit, neue Bewegungen zu erfinden. Sie bügelten sich Gummisohlen unter die Schuhe, schraubten Rollen an Holzlatten, Bügelbretter versahen sie mit Segeln, nahmen sie mit in die Berge. Dort knoteten sie sich mit Gummibändern an Brückengeländer und stürzten sich in Wildwasserschluchten, in denen Tauchanzugträger über Felsen und Stromschnellen krochen. Weil die Hyperaktiven aber auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben, zum Rollator schieben noch zu jung sind, ist gerade ziemlich Sendepause beim Trendsport. Kurzum: Auch der Trendsport steht vor einer gewaltigen demographischen Herausforderung.
Ich habe für Zappelphilippe auf Adrenalin eigentlich nur wenig übrig, aber doch ein großes Herz. Mit irgendetwas müssen sie schließlich ihre Zeit totschlagen. Ich schlage deshalb das Pendling® vor.
Wie bei den meisten anderen angesagten Funsportarten geht es auch hier ums Fortkommen auf eine möglichst riskante, Körper und Geist herausfordernde Art und Weise. Auch ist die Sache nicht ganz billig. Pendlinger müssen einem Club beitreten, Monatsbeiträge entrichten, dafür gibt es einen kreditkartengroßen Ausweis, im besten Fall mit Lichtbild. Anfänger können aber jederzeit einsteigen, sie zahlen einfach pro Pendling. Sonst braucht es zum Pendling vor allem Nerven wie Drahtseile und ein Gespür für Zeit und Raum – den richtigen Spot.
Die besten Bedingungen gibt es am Morgen oder am frühen Abend. Die schönsten Reviere befinden sich rund um große Ballungsräume. Pendling ist dabei etwas für alle Jahreszeiten und alle Witterungsbedingungen. Weil es Indoor und Outdoor kombiniert, wird das Immunsystem brutal gefordert. Unabdingbar ist sicheres Timing, Geschmeidigkeit und ein gutes Orientierungsvermögen.
Der Gegner des Pendlingers ist gewaltig und unsichtbar. Seine laute Stimme verkündet über Lautsprecher schreckliche Spielanweisungen wie diese: „Aufgrund von Verzögerungen im Betriebsablauf verzögert sich die Weiterfahrt dieses Zuges um unbestimmte Zeit.“ Ist das geil!?CHRISTOPH SCHURIAN