schulen/bildung : Problem erkannt – und ignoriert
Heute gibt es wieder Katastrophenalarm. Es kommt eine neue Bildungsstudie auf den Markt, deren Ergebnis zusammengefasst so heißt: Deutsche Schulen sind ungerecht, leistungsschwach und falsch finanziert. Die Reaktionen auf den neuerlichen Intensivbericht über den Risikoschüler Deutschland sind entsprechend hysterisch – doch bei ihnen bleibt es leider.
KOMMENTAR VON CHRISTIAN FÜLLER
Das Problem der schlechten Ergebnisse, die deutsche Schüler, Lehrer und Erzieher erzielen, ist nicht, dass sie furchtbar neu wären – sondern dass sie altbekannt sind. Vor rund drei Jahren kam mit Pisa erstmals gut belegt heraus, dass deutsche Schüler einen erheblichen Leistungsabstand zu ihren Kollegen in Kanada oder Finnland haben.
Die Crux aber liegt darin, dass die deutsche Schule die herkunftsbedingten Nachteile von Schülern – etwa aus sozial schwachen, bildungsfernen Schichten oder von Migrantenkindern – nicht auszugleichen vermag. Im Gegenteil: Sie verschärft sie. Das Problem ist nicht, dass die Schüler zu dumm wären, sondern dass die deutsche Schule ungerecht ist.
Doch die politisch verantwortlichen Kultusminister haben diese Kernfrage bislang nicht zu stellen gewagt. Sie meiden, sie leugnen, sie ignorieren die soziale Spaltung des Landes durch die Schulen. Wenn der OECD-Bildungskoordinator Andreas Schleicher sagt, Deutschland sei ein bildungspolitisches Entwicklungsland, hat er damit leider Recht.
An allem Möglichen wird in den Schulen herumgedoktert: Die Lehrpläne werden aufgebläht, das Expressabitur oder neue Fächer wie Wirtschaft, Ernährung oder gar Angeln erfunden. Nur die pädagogische Ungleichheit wird verschämt als eine Art Randphänomen behandelt, dem man mit Disziplin beikommen könne.
Diese Fehleinschätzung ist deswegen brisant, weil Deutschland ja nicht jünger wird, sondern älter. Wer die Bildungskrise und die demografische Frage zusammendenkt, wird mühelos das Problem der Zukunft erkennen können. Deutschland produziert Schulabgänger mit gewaltigen Lernrückständen.
Sollen das jene hochleistungsfähigen Supermänner und Superfrauen sein, die wir brauchen, um die Renten im Jahr 2020 bezahlen zu können? Es sind genau die fröhlichen Erstklässler, von denen wir wissen, in welche Anstalten wir sie heute schicken – in ungerechte, leistungsschwache und falsch finanzierte Schulen.