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schnittplatzBehalten Sie den Überblick!

Eines der Themen, die derzeit besonders gut im deutschen Journalismus laufen, heißt Kurt Biedenkopf. Nicht nur, dass die eigene moralische Messlatte des regierenden Moralisten verwundert. Es gibt im Umfeld des sächsischen Landesvaters auch jede Menge zu enthüllen.

Zum Beispiel vom Stern. In seiner aktuellen Ausgabe berichtet der von einer neuen Biedenkopf-Affäre, der Amigo-Airline. „Jetzt taucht ein Beweis dafür auf, dass sich der Kölner Bauunternehmer erkenntlich zeigte.“ Gemeint ist Heinz Barth, der mit Biedenkopfs Unterstützung in Leipzig für eine Milliarde Mark das Paunsdorf-Center baute. Selbstredend liegen dem Stern die Beweise – eine Liste der Staatskanzlei – vor. Demnach flog Biedenkopf „mindestens zwölfmal kostenlos“ mit der Fluglinie des Herrn Barth. Die Schlussfolgerung der Hamburger: „Sachsens Ministerpräsident gerät durch eine Reihe von Dienstflügen unter Druck.“

Natürlich gab der Stern das Thema vorab an die Agenturen. Das macht man so, um der Welt die neuesten Neuigkeiten nicht vorzuenthalten – und der Branche die eigene investigative Leistung kund zu tun.

Verzückt über die neueste Affäre setzte der Dresdner Korrespondent der Nachrichtenagentur AP prompt die Stern-Recherche über Ticker ab. Was republikweit dankbar von etlichen Kommentatoren aufgegriffen wurde. „Also auch noch eine Flugaffäre“, schrieb die Offenbach-Post. In der Lausitzer Rundschau war zu lesen, dass Biedenkopfs „Glaubwürdigkeit den Abflug macht“. Und den Kölner Express erinnerte die Stern-Recherche gar an den Stolperstein des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski: Gratisreisen.

Das Dumme ist nur: So investigativ, wie vom Stern suggeriert, ist die Recherche nicht. Seit dem 13. Mai letzten Jahres ist das Beweismaterial nämlich im Internet unter www. sachsen.de/flugliste abrufbar. Anlass für die Veröffentlichung der sächsischen Staatsregierung war seinerzeit die Affäre Glogowski. Die entsprechende Pressemitteilung war natürlich auch an den Stern gegangen – der damals keinen Anstoß an Biedenkopfs Flugpraxis nahm. „Behalten Sie den Überblick“, heißt der aktuelle Werbeslogan des Stern. Machen wir. NICK REIMER

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