sarrazin : Hitler im Hinterkopf
Natürlich hat sich Thilo Sarrazin in der Wortwahl voll vergriffen. Natürlich ist eine Entschuldigung von seiner Seite mehr als angebracht. Und natürlich gehört es zum politischen Geschäft, seinen Rücktritt zu fordern. Der KZ-Vergleich ist einfach – salopp gesagt – unterirdisch.
Kommentarvon ROLF LAUTENSCHLÄGER
Zugleich – und das bedeutet die eigentliche Entgleisung – beweist Sarrazins „Bildersprache“ einmal mehr, dass das politische Establishment noch immer Nazi- oder KZ-Vergleiche als Mittel zu Diskreditierung seiner Kontrahenten im Hinterkopf mit sich herumschleppt. Jene, denen Differenzierungsvermögen abverlangt wird, versagen dabei. Anstelle von Distanz werden unhistorische Brücken konstruiert. Statt nötiger Klarheit herrscht Vergleichskonfusion. All das beweist: Die unliebsame Geschichte ist keineswegs verarbeitet.
Es ist nicht allein peinlich, sondern höchst bedenklich, wenn jemand wie Exkanzler Kohl den Bundestagspräsidenten Thierse mit Göring vergleicht, Herta Däubler-Gemlin mit George Bush wieder Hitler heraufziehen sieht oder Berlusconi dem Europaabgeordneten Schulz eine Filmrolle als KZ-Wärter nahe legt. Bedenklich deshalb, weil hinter der unvergleichlichen Beschimpfung und dem Kalkül der Beleidigung sich ein Defizit im Bewusstsein von vermeintlich „abgehakter“ Geschichte auftut. Darum bleibt der Nazi-Vergleich als Instrument der Argumentation aktuell.
Nicht anders hat Sarrazin gehandelt und zum Schluss sich noch damit gerechtfertigt, dass das Vergleichsbild halt einfach auf der Hand lag, es also nicht soooo schlimm gemeint gewesen sei. Bei allem Respekt: Das ist an „übel riechender“ Harmlosigkeit nicht zu überbieten, Herr Sarrazin.