„rad der zeit“ von werner herzog im lichtmeß : Zufriedene, ausgeglichene Menschen
Zeit – in unserem Alltag könnten wir oft mehr davon gebrauchen. Hektisch geht es von einem Termin zum nächsten, für Besinnlichkeit und die Beschäftigung mit Religion bleibt wenig Platz. Kein Wunder also, dass uns der Buddhismus als besinnliche und gleichzeitig alltägliche Religion so fremd und faszinierend vorkommt. Spätestens seit Sieben Jahre in Tibet im Kino lief, ist das Interesse am Buddhismus auch in Deutschland stark gestiegen. Der tiefe Glaube der Buddhisten und ihr wichtigstes Initiationsfest, bei dem das berühmte Sandmandala gezeichnet wird, sind nun Thema von Werner Herzogs Dokumentation Rad der Zeit, die heute im Lichtmeß läuft.
Anstatt kitschige Landschaftsaufnahmen oder Bilder von Gläubigen als gesichtslose Masse zu zeigen, wühlt sich Herzogs Kamera mitten ins Leben der Gläubigen. Als wäre er selbst dabei, erlebt der Zuschauer Ausschnitte von buddhistischen Festlichkeiten in Indien, Tibet und Österreich. Herzog als Kommentator schafft dabei spannende Einblicke in die buddhistischen Feierlichkeiten, ohne zu belehren oder zu bewerten. Einleitend erzählt er Allgemeines zu den Ritualen, um dann eine besondere Nähe zu den Gläubigen aufzubauen und einzelne Pilger nach ihrer Geschichte zu fragen.
Da gibt es zum Beispiel einen Mönch, der im Mai 2002 zusammen mit einer halben Million Pilger im heiligen indischen Ort Bodh Gaya eintraf, um das buddhistische Kalachakra-Initiationsfest zu feiern, angeführt vom Dalai Lama. Viele der Gläubigen aus aller Welt gingen den gesamten Weg dorthin zu Fuß und warfen sich nach jedem Schritt betend nieder. Der besagte Mönch – er kam aus einer entlegenden Provinz Tibets – legte auf diese Weise eine Strecke von 4.000 Kilometern zurück. Dafür brauchte er ganze dreieinhalb Jahre. „Ich weiß jetzt, wie groß die Welt ist“, sagt er. „Ich habe sie mit Händen und Füßen gemessen.“
Genau wie er freuten sich die anderen Gläubigen beim Kalachakrafest vor allem auf den Dalai Lama, der traditionell die ersten Linien des Sandmandalas zeichnet. Kalachakra bedeutet „Rad der Zeit“, oder auch „Aktivierung eines Samens zur Erleuchtung“, und genau diese Aktivierung soll im heiligen Sandmandala dargestellt werden. „Es ist ein inneres Bild, eine Vision“, erläutert der Dalai Lama in einem kurzen Interview mit Herzog. Dabei wird der heitere Charakter des Dalai Lama sehr gut deutlich, der als beeindruckende Persönlichkeit in Erinnerung bleibt.
Überhaupt sieht man in der Dokumentation viele Gesichter von zufriedenen, ausgeglichenen Menschen, die ihren Platz in der Welt gefunden haben. Ganz ohne Termindruck. Irgendwie beneidenswert.
Maren Albertsen
Heute, 20 Uhr; Lichtmeß