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"Schaut da, TerroristInnen!"

■ betr.: "Susanne Albrecht in Ost-Berlin verhaftet", taz vom 8.6.90, "Ein einig Volk von RAF-Fahndern", taz vom 14.6.90

betr.: „Susanne Albrecht in Ost-Berlin verhaftet“, taz vom 8.6.90, „Ein einig Volk von RAF-Fahndern“, taz vom 14.6.90

Wer (BRD) weltweit mit mehreren hundert Chemie-Töchtern die Erde vergiftet, Motorsägen zum Abholzen der Wälder liefert, außereuropäische Länder mit AKWs (zum Beispiel Brasilien), U -Booten (zum Beispiel Südafrika) und Chemiewerken (zum Beispiel Libyen) versorgt und sich dann über Verhaftungen zweier ehemaligen Terroristinnen der direktesten Art schlagzeilengemäß ausläßt, als ob das „Böse“ nun endlich gefunden und aus dem Verkehr gezogen wäre, der „hat nicht mehr alle Tassen im Schrank“.

Tagtäglich rauschen Millionen von Chemie-Waffen neuerdings über gesamtdeutsche Straßen, durch gesamtdeutsche Lufträume, über gesamtdeutsche Gewässer und ihre Nutzer „morden“ Tausende ihrer Mitmenschen pro Tag, das heißt es finden, täglich Terroranschläge mit vorsorglich nicht als Waffen bezeichneten Geräten „im Interesse der BRD“ statt, die nicht statistisch aufgelistet und medial ausgeschlachtet werden, so daß die Frage beantwortet werden muß, weshalb „Schaut da, TerroristInnen!“ alle Medien so sehr von der Realität ablenken und befleißigen können, ihre Konsumenten in die Irre zu führen. Was sind überhaupt TerroristInnen, was sind Waffen, was sind kriminelle Vereinigungen, was sind Bekennerschreiben, was sind Mord, Totschlag, vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzungen, worauf der natürliche Rechtsstaat ein Auge zu richten hat? Wieso darf er sagen: „Ich will Millionen Hautkrebstote und deshalb dürfen meine Chemie-Töchter weiterhin Ozonschicht zerstörende FCKW produzieren, ich will aber keine Opfer von TerroristInnen!“, und es gibt unendlich viele weitere Beispiele, die sich antagonistisch gegenüberstellen lassen, wenn der Schutz des Menschenlebens doch seine wichtigste Aufgabe ist? (...)

Der Rechtsstaat steht vor einer großen Prüfung, und es wird fraglich sein, ob er das tatsächliche Karzinom mit seinen weltweit wütenden Metastasen weiterhin unbeachtet und sich selbst wie bisher nur an erklärten TerroristInnen austoben lassen kann, wenn er sich verzweifelt austoben muß, weil er letztendlich doch machtlos ist und vielleicht gar machtlos sein will, verstrickt, verfilzt und verschworen in eine schuldhaft mörderische Vergangenheit und Gegenwart, was nicht mehr wegzudiskutieren und zu verschweigen ist. (...)

Klaus Andreas Wiersig, Frankfurt am Main

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