piwik no script img

"Oh, don't do that, man!"

■ Wie ein seichtes Boulevardstück über Erotik und Verführung in der frauenlosen Gesellschaft der Haftanstalt Tegel zu einem delikaten Thema wird / Gefangene möchten gern eigene Theatergruppe

Tegel. Vielleicht ist es der Frühling. Für Momente jedenfalls wirkt alles wie ein gigantisches Ferienlager – vor allem wegen der Männer in Turnschuhen und Badeschlappen, in Trainingshosen und Shorts, von denen einige auf einer kurzgemähten Rasenfläche die Sonne genießen. Doch da sind diese mannshohen Zäune, stabile silberfarbene Metallgitter, die eher an einen Zoo erinnern und die auch dieses künstliche Stück Wiese umfassen. Dahinter erheben sich rote Backstein- Fassaden mit vergitterten Fenstern.

Für 60 Insassen der Justizvollzugsanstalt Tegel ist dies kein gewöhnlicher Samstag. Bereits vor Tagen hat jeder einen schriftlichen Antrag eingereicht; und aus den sechs Abteilungen des Gefängnisses drängen sich nun jeweils zehn Gefangene mit Erlaubnis der Anstaltsleitung in einem kleinen Saal. Alles Männer.

„Meine Herren, einen Moment Ruhe bitte“, brüllt der Inspektor vom Dienst. Und dann tritt Jürgen Bonk vor die Zuschauer, der Regisseur, und kündigt mit seiner leisen Stimme ein „für den Samstagnachmittag geeignetes, leichtes Boulevardstück“ an.

„Zu dir oder zu mir“ von Royce Ryton ist in der Tat kein weltbewegendes, brillantes Werk. Ein Junggeselle hat auf einer Party ein Mädchen abgeschleppt; nun will er in seiner Wohnung die Beute ins Bett bekommen. Schon nach wenigen Minuten, sagt die Schauspielerin Kerstin Reimann hinterher, habe sie gefühlt, das Zwei-Personen- Stück „packt die Zuschauer“. Am Vorabend noch hatte sie sich mit ihrem Kollegen Hagen Henning im Friedrichshainer Theater „manufactur b“ vor einem mageren Dutzend Zuschauern abgemüht, und obwohl sie sogar einmal in Unterwäsche über die Bühne hüpfte, kam keine rechte Stimmung auf. Jetzt ist das ganz anders. „Oh, don't do that, man!“ ruft ein farbiger Häftling, als der Verführer auf der Bühne hastig das Hemd aufknöpft. Und dann ist es totenstill, während er seinem Party-Opfer zärtlich den Hals streichelt. „Die Decken kratzen!“ schreit eine Stimme, als der abgeblitzte Held sich frustriert das Wohnzimmersofa herrichtet. Vor dem Einschlafen blättert er noch schnell in einem Pornomagazin – unter johlendem Szenenbeifall.

Es ist nicht das erste Mal, daß „manufactur b“ Kontakt mit Gefangenen gesucht hat. Seit vergangenem Sommer läßt das Ensemble die Plötzenseer Knast-Band City- House im Theater proben; ein Freigänger des Plötzenseer Gefängnisses arbeitet als Regieassistent; und Mike, der acht Jahre im Strafvollzug war, ist nun bei ihnen Bühnentechniker.

Mike hat erlebt, wie es ist, wenn Männer ohne Frauen zurecht kommen müssen. Daß die Sexualität ein zu starker Trieb ist, um einfach vorübergehend einzuschlafen, und daß viele Häftlinge – wenn auch nur vorübergehend – homosexuell werden. „Einige gehen im Knast auch auf den Strich.“

Nach dem Stück zeigen sich die Zuschauer begeistert. „Warum aber habt ihr so etwas gespielt?“ fragt ein Häftling. Das Verhältnis von Mann und Frau sei „in so einer Anstalt ein sensibles Thema“. Ein anderer Insasse gesteht, daß es ihn ein „bißchen nervös“ macht, wenn Frauen in die Anstalt kommen. Kerstin Reimann jedenfalls hatte schon Tage vorher beschlossen, die Szene in Unterwäsche auszulassen. Dennoch kann ein Insasse während der Aufführung eine leise Bewunderung für ihren „geilen Arsch“ nicht unterdrücken. Eine langhaarige Journalistin, die im dunklen Zuschauerraum neben den Gefangenen sitzt, wird jedoch kein einziges Mal angesprochen oder betatscht, wie sie zuerst befürchtet hatte.

„Hier ist zuwenig los“, klagt ein Häftling; 60 bis 70 Prozent der Insassen seien drogenabhängig, „wobei die meisten hier draufkommen“. Es gebe schon Freizeitangebote, sagt ein anderer bei der Diskussion mit dem Ensemble. „Aber dann kommt bald der pädagogische Zeigefinger, und dann erstickt das Engagement.“ Eine Theatergruppe – das hätten die Häftlinge gerne. „Ich bin immer gern zum Berliner Ensemble gegangen“, sagt einer. „Es gibt Stücke, die sind alt und haben einen ungeheuren Zeitbezug. Es gibt ja nichts Neues auf dieser Welt.“

„Selber spielen ist anders als der Konsum von Kunst“, sagt ein Häftling mit grauen Haaren. „Kreativ sein befreit.“ Bernhard Landwehr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen