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"Mein lieber Brecht,...

Lieber Brecht,

ich habe heute endlich die Aenderungen in der Dreigroschenoper erhalten und beeile mich, Ihnen zu antworten.

Ich muss Ihnen ehrlich gestehen, dass ich nicht verstehe, was Sie mit diesen Aenderungen beabsichtigen. Es mag sein, dass von Ihrem Standpunkt, als Dichter der Dreigroschenoper, diese neuen Texte eine Abschwächung der Originaltexte darstellen, da diese mehr kabarettartigen Anspielung auf „aktuelle“ Ereignisse einfach nicht auf dem Niveau der Dreigroschenoper ist (abgesehen davon, dass auch Goering, Schacht und Keitel schon heute kaum mehr aktuell sind).

Sie werden vielleicht sagen, dass mich das eigentlich einen Dreck angeht, da die Aenderungen ja der Musik folgen. Aber da diese Musik zu Ihren Originaltexten geschrieben war, und da das Ineinanderverschmelzen von Wort und Musik einer der Haupteigenschaften der 3 Groschenoper war, so befürchte ich, dass diese dramatischen Aenderungen (z.B. im Kanonensong) von einem Publikum, das diese Lieder seit 20 Jahren gesungen hat, als störende Eingriffe empfunden werden müssen.

Ich kann mir natürlich vorstellen, dass es sehr verlockend für Sie sein muss, gewisse Zustände, die Sie dort vorgefunden haben, „durch den Kakao zu ziehen“, und einige der geänderten Szenen sind von diesem Standpunkt sehr witzig. Aber die ganze Haltung, die ganze Philosophie der 3 Groschenoper ist über diesen Aktualitäten auf einer höheren Ebene, und daher viel einschneidender und aggressiver. Und darum kann ich nicht verstehen, was Ihre Absicht ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Neufassung von nun an die originale 3 Groschenoper ersetzen und die „offizielle“ Fassung werden soll. Es scheint mir vielmehr, dass diese Aenderungen von Ihnen nur als vorübergehend betrachtet werden, und lediglich für eine bestimmte Aufführung in dieser Saison, wie die Albers-Tour, beabsichtigt ist. Bitte lassen Sie mich wissen, ob das Ihre Absicht ist.

Auch müsste ich, bevor ich meine Zustimmung für die Verwendung meiner Musik gebe, natürlich wissen, wer diese Neufassung vertreiben und die Tantiemen einziehen wird, falls, wie Geis andeutet, sie nicht von Bloch Erben vertrieben werden soll.

Vom musikalischen Standpunkt fand ich, dass die Erweiterung der „Ballade vom angenehmen Leben“ zu 5 Strophen ziemlich monoton wirken muss (im Original werden die 3 Strophen musikalisch variiert) und am Schlusse der „Ballade in der Macheath Abbitte leistet“ passen die Zeilen All denen schlage man die Fressen Mit schweren Eisenhämmern ein

nicht zu dem Charakter der Musik. Bitte beantworten Sie meine Fragen und nehmen Sie die herzlichsten Grüße von Lenja und mir, Ihr Kurt Weill

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