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"Liebe taz..." Rechtsmediziner sind Erfüllungsgehilfen - betr.: Brechmittelvergabe

Betr.: Brechmittelvergabe

Nachdem ich im Oktober 95 den Antrag der „Liste Gesundheit“ in der Bremer Ärztekammer zur Feststellung ethischer Bedenken gegen die Brechmittelvergabe zur Beweissicherung bei mutmaßlichen Drogendealern begründet habe und nun auch im August in der Delegiertenversammlung versucht habe, die dort von der Mehrheit 14:7 Stimmen bei 39 Delegierten) beschlossene Revision des Beschlusses vom Oktober zu verhindern, möchte ich mich an der öffentlichen Diskussion beteiligen.

Richtig sind die Ausführungen der Ärztekammerpräsidentin Dr. Auerswald hinsichtlich der Rechtsstellung eines Rechtsmediziners. Er ist ein „Mediziner“, er ist – und hier irrt der Kollege Streicher – aber kein Arzt im Sinne eines Heilkundigen, i.S. des hippokratischen Eides. Nach Aussage von Dr. Birkholz sei es nicht seine Aufgabe, das Leben des Einzelnen zu sichern und zu pflegen, dem Einzelnen zu helfen, sondern für den Schutz des Gemeinwesens insgesamt medizinisches Wissen zur Aufdeckung und Ahndung von Verbrechen beizutragen. Der Rechtsmediziner ist in diesem Sinne eine Art Erfüllungsgehilfe der Justiz, dessen Alltag die Beschäftigung mit Leichen und Kriminellen umfaßt. In diesem Milieu sollte er sich als abgesicherter Beamter klaglos und sicher bewegen. Insofern ist es vielleicht zuviel verlangt, einen Rechtsmediziner mit der Elle des Eides des Hippokrates zu messen.

Unser letzter Antrag an die Delegiertenversammlung der Bremer Ärztekammer, bezog sich auf eine Frage, die in der bisherigen Diskussion nicht recht zum Ausdruck kam: Welche Alternativen hat die Justiz bei ihrem Unterfangen, Gesetzesverstöße gegen das gültige Betäubungsmittelgesetz aufzudecken?

Abgesehen davon, daß die Brechmittelvergabe an Kinder, die Zigaretten verschluckt haben, unter einer eindeutigen ärztlichen Indikation zur Lebensrettung unter Wahrung intensivmedizinischer Eingriffsmöglichkeiten erfolgt, muß man sich auch mit der Frage auseinandersetzen, welche Alternative es zur Brechmittelvergabe aus Gründen der Beweissicherung gegenüber mutmaßlichen Drogendealern gibt. Es ging uns hier um die Feststellung, daß bei einer von Dr. Birkholz vorgetragenen Fehlerquote mit einem negativen Befund bei jedem dritten „Verdächtigen“ ein Beweissicherungsverfahren gewählt wird, das einen hohen Anteil von einem Drittel Unschuldiger nicht gefährdet und möglichst wenig belästigt – bei allem Respekt vor den Aufgaben der Verbrechensbekämpfung müssen auch die Rechte Unschuldiger beachtet werden. Einerseits müßten wohl die Verdachtskriterien überprüft werden (Hautfarbe, Aufenthaltsort, Alter), die derzeit zur Einleitung des o.g. Beweissicherungsverfahrens führen. Andererseits wäre hier allerdings auch die Beweissicherung mittels der natürlichen Passage – ob durch Abwarten oder durch Abführmittel – als die am wenigsten belästigende Methode zu nennen, zumal hier die Selbstgefährdung der tatsächlichen Dealer durch Zerbeißen der vorgewürgten Container als Versuch der Beweiszerstörung entfällt. Sicherlich wirft dieser Vorschlag juristische Probleme wie eine längere, richterlich zu bestätigende Beobachtungszeit auf. In Wirklichkeit mag aber niemand der Betroffenen in der Rechtsmedizin, beim Senator für Justiz oder bei der Polizei über diese Alternative reden, weil sie wesentlich personalintensiver und für das Personal lästiger wäre.

Zur Gewaltanwendung wird immer wieder angeführt, daß auch betrunkenen Autofahrern gelegentlich unter Gewaltanwendung Blut zur Beweissicherung des Blutalkoholgehalts entnommen werde. Dagegen erhebe sich kein Einspruch. Richtig – denn ein Nüchterner wird sich der Blutentnahme aus einer Vene kaum verweigern, da es seine Unschuld beweisen wird. Bei einem entsprechend wenig belästigenden Verfahren dürften auch Unschuldige keine Gegenwehr zeigen, wenn es um den Verdacht verschluckter Drogencontainer geht.

Es gilt daher weiterhin, ein Verfahren einzuführen, welches für die betroffenen, insbesondere unschuldig Verdächtigten wenig gefährdend ist und möglichst größere Sicherheit in der Aufdeckung zu recht Verdächtiger ergibt (die Container sind nur zwei Stunden nach dem Verschlucken durch Brechmittel nachzuweisen). Die bisherige Diskussion darüber wurde außer durch Emotionen auch durch erhebliche Starrheit und mangelnde Flexibilität seitens der Behörden bestimmt. Wir hoffen weiterhin, daß hier eine mit der ärztlichen Ethik – „um jeden Preis Schaden vermeiden“ – vereinbare Lösung gefunden werden kann.

Dr. W.v. Heymann, Sprecher der „Liste Gesundheit“

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