■ 2.500 protestieren gegen Völkermord: "Bosnien: Ein später Sieg Hitlers"
„Bosnien: Ein später Sieg Hitlers“
„Wenn das Gedenken an die Holocaust-Opfer uns nicht dazu bewegt, auf das Leiden in Bosnien zu reagieren, welchen denkbaren Wert soll diese Erinnerung haben?“ – Der Satz, der gestern in großen Lettern am Glockenturm der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar prangte, ist einem offenen Brief des American Jewish Congress an Präsident Bill Clinton entnommen.
Doch man kann das auch anders sehen. Als die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ bei der Verwaltung der Gedenkstätte anläßlich des Volkstrauertags eine Kundgebung für Bosnien anmeldete, wurde sie ans thüringische Ministerium für Kunst und Wissenschaft verwiesen. Dort habe man schließlich eine Historikerkommission unter dem Vorsitz von Eberhard Jäckel einberufen, berichtet Michael Fritz, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Göttingen, die zum Schluß gekommen sei, daß eine Kundgebung in Buchenwald, bei der die Geschichte dieses Ortes mit aktuellen Geschehnissen in Bezug gesetzt werde, abzulehnen sei. Schließlich habe man sich darauf geeinigt, die Veranstaltung öffentlich nicht zu unterstützen, aber auf die Anwendung des Hausrechts zu verzichten.
Keine Unterstützung hieß denn auch, daß beinahe die Lautsprecheranlage ausgefallen wäre. In letzter Minute sprang dann die Polizei doch noch hilfreich ein. Und Lautsprecher waren in der Tat nötig: Etwa anderthalbtausend bosnische Flüchtlinge waren angereist. Die Busse hatte die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ gechartert.
Keine Probleme mit der Wahl des Kundgebungsortes hatte Marek Edelman, der gleich nach Landsbergis, dem früheren Präsidenten Litauens (s. unten), als zweiter Redner das Wort ergriff. Das Gelände ganz in der Nähe des Konzentrationslagers, wo in den Jahren 1937 bis 1945 über 51.000 Menschen getötet wurden, sei genau der richtige Platz, befand der letzte überlebende Kommandant des Warschauer Ghettoaufstandes, der eine 13stündige Zugfahrt aus dem polnischen Lodz auf sich genommen hatte, um seine Solidarität mit den Opfern des Kriegs auf dem Balkan zu bezeugen.
„Europa hat vor 50 Jahren geschwiegen, Europa schweigt auch heute“, klagte er in polnischer Sprache an. „Wir dachten, so etwas könne nicht mehr passieren, dann aber geschah es in Biafra, Kambodscha, in der Türkei und nun im ehemaligen Jugoslawien.“ Die internationale Gemeinschaft müsse militärisch intervenieren und dem Krieg ein Ende setzen. Die ethnische Säuberung, die nun in Bosnien durchgesetzt werde, sei ein später Sieg Hitlers.
Kaum jemand von den Flüchtlingen, die sich vor dem Glockenturm drängten, hatte wohl den Namen Marek Edelman zuvor je gehört. Doch der immer noch rüstige Mann sprach ihnen aus dem Herzen.
Da hatte es sein Nachredner schon schwerer. Alain Finkielkraut begann mit einem Kant-Zitat. Das Drama der Menschheitsgeschichte müsse einen Sinn haben, hatte der Königsberger Denker befunden, um auf Dauer interessieren zu können. Sein französischer Epigone befürchtete, daß der Krieg auf dem Balkan – wo Serben gegen Muslime, Kroaten gegen Serben, Muslime gegen Kroaten und nun auch noch Muslime gegen Muslime kämpfen – das europäische Publikum zu langweilen beginnt.
Soweit konnte man dem Franzosen noch folgen. Dann aber sprach er von Hegel und dessen Diktum von der „Arbeit des Negativen“.
Die demonstrierenden Flüchtlinge wurden offenkundig unruhig. Und als der Redner schließlich nur ganz vorsichtig ihren Präsidenten Izetbegović kritisierte, weil der 1991 muslimisch-nationale Töne angeschlagen hatte, war es vorbei. „Ustascha“-Rufe schallten ihm entgegen.
Die Ustascha war die Terrororganisation, die mit Hitlers Hilfe 1941 in Kroatien und Bosnien- Herzegowina eine faschistische Republik errichtete. „Ustascha“ ist ein Kampfbegriff, den die serbische Propaganda umstandslos jedem Kroaten anhängt. Seit nun auch die bosnischen Kroaten muslimische Dörfer belagern, säubern oder ausrotten, ist er auch in muslimischen Kreisen Mode geworden. Man dürfe Buchenwald und Sarajevo nicht gleichsetzen, schloß der jüdische Philosoph aus Paris, „doch ist Buchenwald nicht nur eine Erinnerung, sondern auch eine Warnung“.
Die bosnischen Flüchtlinge, die in beißender Kälte und stürmischem Wind zwei Stunden ausharrten, hatten die Warnung aufgegriffen. „Stoppt die Landkartenzeichner“, hatte ein junger Mann auf sein Plakat geschrieben, „heute teilen die uns, morgen werden sie es mit euch tun“.
Zumindest in Buchenwald, wo die Überlebenden des KZs ihr „Nie wieder“ formuliert hatten, demonstrieren die Bosnier Einigkeit. Zoran Simic, ein serbisch-bosnischer Journalist, verwies in seiner Rede auf Sarajevo, wo er zum Bajram beim muslimischen Nachbarn Baklava gegessen hatte. Sarajevo sei trotz des Krieges geblieben, was es immer war, „eine große Seele“.
Der kroatisch-bosnische Schriftsteller und Verleger Simo Esic mahnte an, daß in seinem gequälten Bosnien, „diesem blutigen Krümelchen auf der gleichgültigen Erdkugel“, die alte Dame Europa verteidigt werde. Und Fadila Memisevic vom „Zentrum zur Erfassung von Kriegs- und Genozidverbrechen Zenica“, sprach vom multikulturellen, multinationalen und multireligiösen Bosnien, wo sich die Büchse der Pandora geöffnet habe, aus der „die Ungeheuer des Genozids, Ethnozids, Urbizids und Kulturzids“ entwichen seien. „Vor den Augen des selben apathischen Europa wiederholt sich Buchenwald. Bosnien-Herzegowina ist in ein Konzentrationslager verwandelt worden.“
Natürlich ist Sarajevo nicht Buchenwald. Es gibt in Sarajevo Familien, die zusammenleben, es gibt eine Regierung, es gibt Hilfsorganisationen, es gibt ein Hotel und Journalisten, die sich das alles ansehen. Doch wer mag es den Flüchtlingen, die, vertrieben und vergewaltigt, oft nur das nackte Leben gerettet haben, verdenken, daß sie vor allem das Gemeinsame zwischen den beiden Orten entdecken?
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