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putin schwanktSlobo oder Madeleine

Gespannt blicken westliche Außenpolitiker auf den Kreml, und ratlos fragen sich viele: Was will Wladimir Putin? An das Rätselraten über die politischen Absichten des russischen Präsidenten hat man sich im Westen gewöhnt. Doch nun zeigt er sich gegenüber dem Wahlfälscher Slobodan Milošević auch noch unentschlossen wie selten. Russlands Reaktion auf den Schwindel bei den jugoslawischen Präsidentschaftswahlen wird zum einen entscheiden, ob der demokratisch besiegte Diktator in Belgrad seinen letzten internationalen Rückhalt verliert. Zugleich zeigt sich damit aber auch, ob der westliche Schmusekurs gegenüber Wladimir Putin gerechtfertigt war. Erst wenn der russische Präsident eindeutig und öffentlich auf Distanz zu Milošević geht, hätte sich das Kalkül der deutschen Regierung und ihrer Verbündeten ausgezahlt: Wer nett ist zu Putin, nützt der internationalen Durchsetzung der Demokratie mehr, als er ihr schadet.

Kommentarvon PATRIK SCHWARZ

Der Demokratie in Russland selbst hat der Schmusekurs erst mal nicht weitergeholfen: Großzügig sehen Politiker wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer darüber hinweg, dass Putin der gerade belebten Zivilgesellschaft in Russland bereits wieder die Luft abdrückt. Dafür hat man von Berlin und anderen europäischen Hauptstädten aus fleißig an Brücken nach Moskau gebaut, um die Kluft aus der Zeit des Kosovo-Konflikts zu überwinden. Damit sich dieses Unterfangen für den Westen gelohnt hat, müsste Putin nun die Brücken nutzen, um ins Lager der internationalen Anti-Milošević-Front zu wechseln. Beschränkt er sich auf seine halbherzige Mittlerposition der letzten Tage, wären die Mühen vergeblich gewesen. Womöglich käme es dann noch im Herbst zu einem Frosteinbruch in den Ost-West-Beziehungen.

Schließlich haben sich die Madeleine Albrights und Joschka Fischers der internationalen Politik nirgendwo so festgelegt wie in ihrer Feindschaft zum Milošević-Regime. Die Erfahrung des Kosovo-Kriegs hat sie politisch wie persönlich auf den Sturz des Diktators eingeschworen. Jetzt wähnen sie sich ihrem Ziel so nahe wie nie zuvor: Steht nicht Belgrad kurz vor einer Revolution? Diesmal muss Putin sich entscheiden, wessen Freundschaft er lieber aufs Spiel setzt: Slobos oder Madeleines.

Entscheidet er sich für den Diktator, gibt es einen gewichtigen Grund weniger für westliche Regierungen zu schweigen, wenn russische Behörden die Meinungsfreiheit und Arbeit von Bürgerinitiativen behindern.

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