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Archiv-Artikel

„Mux ist ein Macher“

Ein Mann sieht rot: In „Muxmäuschenstill“ sorgt Mux, der Moralist, für Ordnung. Ist er der Mann der Stunde oder ein faschistoider Einzelkämpfer? Ein Gespräch mit dem Regisseur Marcus Mittermeier

INTERVIEW BIRGIT GLOMBITZA

taz: Herr Mittermeier, Mux, der Protagonist von „Muxmäuschenstill, sagt: „Ich bin ein Teil einer Gesellschaft, in der wir unsere Ideale verloren haben.“ Auch Jan Henrik Stahlberg, Drehbuchautor und Hauptdarsteller, spürt, „dass etwas faul ist im Staate“. Was liegt dem Regisseur Marcus Mittermeier schwer auf der Seele?

Marcus Mittermeier: Genau das war auch Teil der Diskussion, die Jan und ich geführt haben, als er mit der Idee, diesen Film zu machen, zu mir gekommen ist. Was soll wie kritisiert werden, und wie genau bringt man das dem Zuschauer nahe? Bei solchen Debatten überkam uns unwillkürlich die Wut. Welche Bedeutung zum Beispiel so ein Schwachsinn wie Klingeltöne in unserem Leben bekommen. Wir werden zu einer Gesellschaft, die ihre Grundlagen, ihren Konsens aufgibt. Und der Konsens beruhte auf einer solidarischen Wertegemeinschaft. Das wird negiert.

Inwiefern?

Wir werden eine rein ökonomisch orientierte Ansammlung von Ich-AGs. Die Tatsache, dass wir mit Horst Köhler einen Bundespräsidenten bekommen, der aus der Wirtschaft kommt, signalisiert mir, dass es das ist, worum es in diesem Staate auch in Zukunft hauptsächlich gehen soll. Wir wollen einfach mit dem Film darauf aufmerksam machen, das unsere Gesellschaft, wenn sie so weitermacht mit ihren Klingeltönen, dämlichen Starbiografien von Oliver Kahn bis Dieter Bohlen und all dem anderen Quatsch, in ein riesengroßes moralisches Problem schlittert.

Dann ist Mux der Mann der Stunde? Schließlich ist er der Reformer in Zeiten von Hartz IV, Bürgerversicherung und all den anderen Appellen an die Eigenverantwortung.

Mux ist jemand, den die führenden Politiker cool fänden, weil er ein Macher ist, ein Gründer, ein Unternehmer. Einer, der konsequent die Solidargemeinschaft einfordert. Aber bei Mux muss man eben aufpassen, muss man genau unterscheiden zwischen seiner Haltung und seinem Verhalten. Das haben wir uns als wichtiges formales Mittel zurechtgelegt. Deckungsgleiches, konsequentes Handeln und Denken, das wäre ganz schnell langweilig. Mux löst durch sein brutales, asoziales und selbstherrliches Handeln stets das Gegenteil von seinem Idealismus ein. Dadurch kommen wir in ein Spannungsfeld, was die Sache auch fürs Publikum erst richtig interessant macht.

Inwieweit teilen Sie Mux’ Kritik am Werteverlust, inwieweit ist sein Idealismus auch Ihrer?

Was er sagt, entspricht auch Jans und meinen Thesen zur gesellschaftlichen Situation. Seine Handlungen sind natürlich untragbar, man kann schon sagen: faschistoid.

Während der Dreharbeiten trat die Oder über die Ufer. Das Jahrhunderthochwasser mit all seinen Opfern und Helfern wurde in Deutschland eher zum Inbegriff einer neuen, wenn auch vorübergehenden Ost-West-Solidarität. Haben Sie das aus symbolischen Gründen in „Muxmäuschenstill“ eingebaut? Oder weil man selten so preisgünstig an Katastrophenbilder kommt?

Sicher aus beiden Gründen. Hinzu kam, dass dieses Ereignis Schröders Wiederwahl begünstigt hat, aber das konnten wir während des Drehs natürlich nicht wissen. Auch die Loveparade, die im Film auftaucht, steht schließlich nur vordergründig für Zusammenhalt und Gemeinschaft. Tatsächlich bedeutet sie ja die Kommerzialisierung dieser Gefühligkeit.

Was ist an Mux komisch?

Er ist ein Romantiker, das gibt ihm einerseits eine Wärme und gleichzeitig etwas Überdrehtes und Krankes. Bei der ersten Liebesszene zum Beispiel, da könnte Mux’ Monolog in einem Coming-of-age-Film noch einigermaßen passend erscheinen. Bei uns jedoch ist er ein Riesenlacher. Dieses „Ich könnte dein weißer Ritter sein“ und so weiter. Das ist alles super absurd.

„Muxmäuschenstill“ ist durchaus als moralischer Film gemeint. Bezieht sich das auch auf die Produktionsmittel? Macht man ohne Filmförderung, ohne Geld für Stars unverdorbenere Filme?

Ich habe da einfach zu wenig Erfahrung, um das beurteilen zu können. Mit „Muxmäuschenstill“ sind wir nicht gefördert worden. O. K., kann mal passieren, keiner konnte sich wohl vorstellen, dass so ein Film wirklich funktionieren wird. Unser nächstes Projekt wird ähnlich kompromisslos sein und auch ähnlich schräg. Sollten wir jetzt wieder nicht gefördert werden, werde ich noch mal über die Frage nachdenken.

Welche Ambitionen zeichnen Sie als Regisseur aus? Manchen sind Sie ja eher als TV-Schauspieler bekannt.

Es ist einfach sauschwierig, einen guten Film zu machen. In Deutschland aufwändige und teure Produktionen zu drehen, ist im Grunde ja gar nicht möglich. Mit Video und DV wird es uns vielleicht möglich sein, in Zukunft mehr Filme zu machen, die aus einer individuellen Haltung entstehen und eine eigene Handschrift tragen. Auch große Filmnationen wie Frankreich oder Amerika schaffen es ja nicht, jedes Jahr einen genialen Film zu machen. Na ja, und abgesehen davon müsste man vorher erst einmal feststellen, (lacht ein Weilchen) dass „Muxmäuschenstill“ genial ist.

Wieso ist der Film eigentlich über weite Strecken unscharf?

Der Film hat eine gewisse Schärfe! Aber Spaß beiseite: Unter den Drehbedingungen – wir mussten sehr schnell und viel drehen – habe ich Mängel in der optischen Umsetzung bewusst in Kauf genommen. Dass es jetzt so gut passt, liegt daran, dass der Film und seine Idee einfach aufgehen.

Trotz eines Budgets von nur 40.000 Euro und einem sehr kleinen Team haben Sie beim Casting nicht gespart und rund 500 Leute eingeladen. Warum waren Sie bei der Besetzung der delinquenten Passanten so penibel?

Weil die Hauptfiguren in diesem Film letztlich die sind, die den Zuschauer widerspiegeln. Also die Passanten. Jeder von uns ist schon einmal schwarzgefahren oder bei Rot über die Ampel gegangen. Bei all diesen Jedermännern, die Mux verfolgt und bestraft, wollten wir besonders authentisch wirken. Da mussten ganz andere Typen und Gesichter her als die, die man aus dem Fernsehen kennt. In unserem Fall waren das zu etwa 80 Prozent Laien.

Filmpreis 2004 für den besten Schnitt, Max-Ophüls-Preis, Publikumspreise und und und. Ist es komisch, nach so einem kleinen, stürmischen Film wie „Muxmäuschenstill“ plötzlich so ernst genommen zu werden?

Eigentlich nicht, denn wir haben es ja auch ernst gemeint. Von Anfang an. Wir hatten einfach etwas zu sagen. Das war nie bloß ein Spaß.