prêt-à-porter : Buckel und Buchtung
Vivienne Westwood und Rei Kawakubo arbeiten mit Silhouetten, die mit der Figur darunter nichts zu tun haben
Es gibt ja Kleider, die verleihen Allure. Und da sind solche, für die man schon eine gewisse Portion davon mitbringen muss. Vivienne Westwood hat ihre Trägerin schon immer herausgefordert. Überraschend ist also nicht, dass sie es wieder getan hat. Überraschend ist, dass die aktuelle Herausforderung nicht in der „Tight-and-sexy-Silhouette“ liegt – sondern gerade im völligen Verzicht darauf.
Was Westwoods Entwürfe der letzten Jahre kennzeichnet, dafür braucht es nur einen Blick ins Publikum. Kurze, knapp sitzende Jacken, schmale Taille und weiter Schoß, enge Röcke dazu und dann diese Schuhe: kompakt und mit Absätzen, die mindestens 15 Zentimeter schenken. Man kann sagen, dass der Salle Delorme im Carousell du Louvre nur so zwirbelt vor Gelingen und Niederung persönlicher Westwood-Assemblage, als endlich das Licht gedimmt wird, ein wenig von dem offerierten Parfüm versprüht ist und das erste Model mit punkig toupierter Frisur zackigen Schrittes den Laufsteg nimmt. Rot um die Augen, weiß im Haaransatz, und dann die Kleider: o lala. Kurze, mittelweite Röcke werden mit unterhosenartiger Überhose getragen; bisweilen ist das, was seitlich herunterfällt, am oberen Bein festgebunden. Anleihen an Bondage nimmt auch der Tangoschuh, ledergegürtet bis kurz unters Knie. Dann Draperien, die an „Portrait Collection“ erinnern. Wenn Vivienne Westwood Modegeschichte zitiert, zitiert sie nicht zuletzt sich selbst.
Machtvoller als das ist nur eines: abzuschaffen, was man selbst erfunden hat. Sie habe genug davon, die Frauen als ultrafeminine Wesen zu inszenieren, sagte Westwood vor kurzem im Interview. „Ich wollte genau dagegen gehen, gegen den Körper.“ Schnitttechnisch experimentiere sie zurzeit mit Rechtecken. Und nun werfe man einen Blick aufs Defilee. Silhouetten, die mit den Figuren darunter nichts mehr zu tun haben: ein Zipfelkleid, schwarzes Karo auf weißem Grund, aus dem Ecken und Flächen herausstehen wie Tüten; die Draperien unterschiedlichster Stoffe bauschen auch in der Taille; Röcke in Schwarz und Puderrosa enden unten lieblich in Lochspitze, um dann störrisch beulend zur Seite zu ziehen, weil sie im Bund gerafft sind und die seitliche Naht gebogen ist. Dito der fuchsiafarbene Faltenrock aus Crêpe Georgette. Gefällig ist es nicht. Stets ruckt es über die schlanke Linie hinaus: Man verweigere die Silhouette. Und sage dem Existenzkampf einen guten Abend.
Rei Kawakubo, Designerin von Comme des Garçons, ist genau dafür bekannt: den Körper in Buckeln und Buchtungen neu zu erfinden. Auf den Bänken bei Comme des Garçons reicht eine rote Kette, um als farbiger Freak inmitten des Schwarz in Schwarz hervorzuschillern. Doch das monochrome Publikum im kargen Keller ist idealer Hintergrund für ein Defilee, das in jedem pastelligen Pink das Herz so sonderbar leicht werden lässt – bis kurz vor die Süßlichkeit. Und genau dort, ganz kurz vor dem Befremden über die eigene Befindlichkeit, will Rei Kawakubo ihr Publikum haben. Zu „Schwanensee“ schwebt das erste Wesen herein. Die kurzärmelige schwarze Jacke ein ledernes Gehäuse, am Rücken die flügelartige Ausbuchtung, dazu der Ballerinarock. Schwingend ist er oder hart wie ein Eisbecherschirmchen. Schwarz natürlich, auch weiß oder pink. Manchmal wächst das Tutu das Bein hinunter. Da ist anthrazitfarbener Neopren, oben schildpanzerartig, unten im Halbrock, in dem ein Lederband grob seinen Weg macht. Aus Baumwolle, pink-weiß kariert, sieht das Ganze lieblicher aus; doch so, wie die Gitarre mittlerweile in den „Bolero“ zupft – immer nur leicht daneben –, stören die seitlichen Wülste am Kleid die proper-heitere, dem aufgeräumten Karo geschuldete Fünfzigerjahre-Anmutung. Dann wird das Tutu zur Persiflage des Petticoats. Und die Süßlichkeit kann weitergehen. KATRIN KRUSE