proteste : Schüler lieben die Gerd-Show
Gerd ist klasse, war gestern auf Nachfrage und lautstark bei den Jüngsten dieser Republik zu erfahren. Jawohl, die gestern bundesweit für den Frieden demonstrierenden Schülerinnen und Schüler finden den Bundeskanzler voll o.k., ja sogar total o.k. Wie lange ist es her, dass Politik bei der Jugend so gut ankam? Vielleicht zuletzt, als es zu Beginn der 70er-Jahre noch einmal um das Grundsätzliche ging, nämlich um Willi Brandt und seine Ostpolitik? „Wir wollen Frieden“, skandierten die Youngsters und wirkten durchaus entschlossen. Die Anti-Irakkriegs-Haltung der rot-grünen Koalition hat etwas geschafft, wovon viele Pädagogen nicht einmal mehr träumten. Das zähe Ringen um ein Nein zum Krieg hat die Jungbürger dieser Republik politisiert wie selten eine Debatte.
Kommentar von ADRIENNE WOLTERSDORF
Sind das also wirklich die Kids, die Gesellschaftskritiker und Jugendforscher rituell als MTV-geschädigte Analphabeten diffamieren? Sind das die Politignoranten der Computergeneration?
Offensichtlich ja. Solange die deutsche Politik nur diplomatisches Konsensgelaber und Nullkommadrei-Prozent-Debatten bot, hatten die Kids Besseres zu tun. Kaum ging es einmal wirklich ums Ganze, um die Standfestigkeit der deutschen Politk im Bündnisgerangel, da waren die zukünftigen Wählerinnen und Wähler hellwach. Und siehe da, wir haben gestern auf der Straße gehört und gesehen, dass sie ziemlich gut zugehört haben die letzten Jahre. Sie kennen die Argumente, sie verstehen, was diese Regierung aufs Spiel gesetzt hat. Sie finden es klasse, ihre Volksvertreter einmal klasse zu finden.
Doch die Zeiten der schwärmerischen Idolatrie sind zum Glück vorbei. Den Gerd-Starschnitt von Bravo wird es zum Glück nicht geben. Die Kids sehen erstaunlich vernünftig, was läuft und was nicht. Denn viele fragen sich, warum ein Nein zum Krieg immer noch so hohe Rüstungsausgaben bedeutet. Und warum ein toller Anti-Irakkriegs-Bundeskanzler immer noch keine Schulen mit funktionierenden Toiletten und genügend Ausbildungsplätzen hinkriegt.